Netznachrichten:Fotos liefern Daten

Die Billionen von privaten Bildern im Netz dienen Forschern und Firmen als Informationsreservoir. Sie geben Auskunft über Produktvorlieben und mehr.

Von Michael Moorstedt

2015 hat die Menschheit zwischen zwei und drei Billionen Fotos ins Internet geladen. Bilder von Haustieren und Partys, Hochzeiten und Memen. Der überwiegende Teil ist visueller Ballast, der schnell verschwindet. Er bleibt zwar irgendwo gespeichert, ist aber doch flüchtig.

IT-Wissenschaftler aus Singapur wollen dieses riesige Informationsreservoir nun anzapfen. Es soll ihnen Auskunft über das Leben der Menschen und den Zustand ihrer Städte geben. In einem ersten Schritt sollen Selfies Auskunft über Luftverschmutzung geben. Das Programm namens AirTick überprüft zunächst Zeit und Ort der Aufnahme, ein selbstlernender Algorithmus gleicht das Aussehen des Himmels dann mit offiziellen Daten ab. So kann er den Verschmutzungsgrad auf dem Foto hochrechnen. Diese Methode, so die Forscher aus Asien, habe diverse Vorteile gegenüber herkömmlichen Messstationen. Sie sei viel günstiger und könnte vor allem eine sehr viel dichtere Datengrundlage schaffen. Fotografiert wird schließlich überall. Man hätte die Informationen in Echtzeit zur Verfügung. Auch andere Forschergruppen haben den Wert der Fotomassen erkannt. Sie fahnden etwa in den Aufnahmen von Google Street View nach Schlaglöchern oder Unfall-Hotspots.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Zumindest im Internet galt das lange nicht. Die Computer waren notorisch schlecht darin, die Informationen in den Pixeln auf Fotos oder Videos zu deuten. Durch immer bessere selbstlernende Algorithmen und Bilderkennungssoftware ändert sich das rapide. Und dieses utopische Potenzial wird auch schon genutzt, um den Menschen Dinge zu verkaufen. Das Bostoner Start-Up Ditto Labs etwa verspricht Unternehmen, Ordnung in die Bilderflut zu bringen, indem es auswertet, wo und wann die Menschen ihre Produkte nutzen. Die Firmen können aufgrund dieser Informationen bessere personalisierte Werbung schalten oder durch den ungefilterten Einblick in die Verbraucherseele ihr Marketing perfektionieren. Dazu hat das Start-Up bereits Vereinbarungen mit großen sozialen Netzwerken wie Tumblr, Twitter oder Instagram beschlossen, um deren Fotostrom durchforsten zu dürfen. Lächelt die Person, die ein T-Shirt der Firma A trägt? Wie ist der Gesichtsausdruck eines Menschen zu deuten, der eine Tüte Kartoffelchips der Marke B in die Kamera hält? Wie alt sind diese Leute, wo befinden sie sich? Jedes Foto wird auf etwa 2500 Datenpunkte überprüft und ausgewertet. Nichts bleibt privat, nichts ist banal genug, als dass es nicht als Grundlage für irgendeinen Businessreport dienen könnte.

Gerade in den sozialen Netzwerken wie Instagram wimmelt es auf Fotos ja nur so von Produkten. Die Menschen fotografieren ihre Schuhe, ihre Kaffee-to-go-Becher, ihr Abendessen. So wird der private Fotostream zu einem Teil des Haushaltspanels. Und jeder Nutzer ungewollt zum Markenbotschafter.

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