Süddeutsche Zeitung

Netzkolumne:Pieks mich, schlag mich

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Eine Interaktionsdesignerin aus den USA hat mit ihren Kollegen einen neuen Typ sozialen Roboter entworfen, an dem Menschen ihre negativen Gefühle auslassen können. Um danach wieder fröhlich ihrer Pflicht nachzugehen. Die Zukunft der Katharsis.

Von Michael Moorstedt

Auch wenn sich selbst die höchstentwickelten Modelle heutzutage gerade mal mit viel Mühe auf den Beinen halten können, lohnt es sich, über die Beziehung von Mensch und Roboter nachzudenken. Denn geht es nach dem Willen der Tech-Konzerne, die autokratisch unser digitales Dasein bestimmen, wird unser Zusammenleben mit den Maschinen immer enger werden. Sie denken schon viel weiter, als die Roboter nur als billige Arbeitskraft in Fabriken einzusetzen. Sogenannte Social Bots sollen als Gouvernante Kinder betreuen und im Pflegeheim als aufmerksame Zuhörer noch die unzusammenhängendste Anekdote mit eiserner Geduld aushalten. Als Sexbots dienen sie auch den sozial Verwahrlosten, die in der Mitte ihres Lebens stehen. Ihr Erscheinungsbild wird so divers sein wie ihr Einsatzzweck. Von einer missglückten Kreuzung aus Teletubbie und Dreifinger-Faultier bis hin zum perfekten Körper inklusive körperwarmer, samtweicher Kunsthaut ist alles dabei.

Die US-amerikanische Interaktionsdesignerin Michal Luria hat vor Kurzem mit Kollegen ein weiteres Roboter-Genre erfunden. Maschinen, an denen man seine schlechte Laune auslassen kann. "Cathartic Objects" nennt sie ihre Entwürfe. Konkret heißt das: Geräte, die sich am ehesten für den Einsatz in der Folterzelle eignen. Nachdem der menschliche Nutzer mit ihnen fertig ist, kann er frohen Mutes seinen Pflichten nachgehen. Das begleitende Paper betiteln die Forscher "Herausforderungen beim Design von Mensch-Maschine-Interfaces für negative Emotionen".

Grund genug für ein bisschen Wut gäbe es ja reichlich

Das erste Objekt erinnert an ein schwarzes Sitzkissen, das zu zittern beginnt, sobald es mit langen Nadeln malträtiert wird. Weitere Entwürfe sind eine Lampe, die erst zu leuchten beginnt, wenn sie mit Schimpfwörtern bedacht wird, und eine anthropomorphe Handpuppe, die permanent ein extrem entnervendes Gelächter von sich gibt - bis man auf sie einschlägt oder sie durch die Gegend wirft.

Studien zeigen, dass Menschen leicht eine emotionale Bindung zu unbelebten Objekten aufbauen können. Es fällt uns etwa schwerer, einen Roboter abzuschalten, wenn er zuvor Angst äußert. Für Luria geht es vor allem um eine Verschiebung der Perspektive. Technik diene heutzutage ja vor allem der Verstärkung von positiven Gefühlen, sagt sie. Diese Behauptung mag man nach einem kurzen Blick in die üblichen Social-Media-Empörungskanäle zwar für recht gewagt halten, sie stimmt aber immerhin insofern, als in den Hochglanz-Broschüren der Hersteller keine Spur von absatzhemmenden Emotionen wie Wut, Frust oder Trauer zu finden ist.

Man könne nicht jedes negative Gefühl durch Technik wegoptimieren, so Luria. Sie wolle erforschen, ob Roboter nicht die idealen Prügelknaben seien. Indem sie Gewalt nicht nur stumm ertragen wie ein Boxsack, sondern auch Feedback geben, seien sie eventuell als Mittel für eine heilsame Kurzzeit-Therapie geeignet.

Grund genug für ein bisschen Wut gäbe es ja reichlich. Wer will nicht ein wenig aufbegehren gegen die technologische Fremdbestimmung, die noch nie, zumindest gefühlt, flächendeckender war als heutzutage. Wer will nicht die immer konkreter werdende Furcht kanalisieren, von Computer und Robotern ersetzt zu werden. Sind die kathartischen Objekte erstes Symptom des Maschinensturms, der droht, wenn erst Millionen Jobs automatisiert werden?

In gewisser Weise erinnern Lurias Katharsis-Bots an die Rage Rooms der frühen Nullerjahre. Dort bezahlten abgekämpfte Bürodrohnen einen nicht unerheblichen Betrag dafür, einen mit Requisiten von der Müllkippe dekorierten Arbeitsplatz zu demolieren. Ausgestattet waren sie mit Vorschlaghammer oder Baseballschläger. Maximale Katharsis garantiert. Waren es damals noch ausgediente Monitore oder Drucker, die dem Frust der Menschen zum Opfer fielen, sind es heutzutage eben Roboter. Der technologische Fortschritt führt dazu, dass die Dinge selbst dann noch interaktiv sind, wenn man sich an ihnen abreagiert.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2019
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