Netzkolumne:Künstliche Kunst

Lesezeit: 2 min

Sammler lieben gerade Werke, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz entstehen. Entwickelt sich eine Alternative zur herkömmlichen Kunst?

Von Michael Moorstedt

Der vergangene Dienstag war ein großer Tag für den Münchner Künstler Mario Klingemann. Zum ersten Mal kam ein Bild von ihm bei Sotheby's unter den Hammer. Es ist nur nicht ganz klar, ob es wirklich Klingemanns Arbeit ist - oder nicht doch die eines Computers. "Memories of Passersby I" heißt das Werk. Es besteht aus zwei großen digitalen Bilderrahmen, die mit Kabeln an ein in ihrer Mitte stehendes, hübsch restauriertes Mid-Century-Kästchen angeschlossen sind. In dem befindet sich der Rechner, der die Bilder erzeugt. Es speist sich aus zahlreichen Porträts aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert. Zu sehen sind sich permanent verändernde Gesichter, vor sich hin wabernde Männer und Frauen, eine Art Meta-Munch, "Der Schrei" auf Steroiden. Wiederholungen gibt es nicht, es ist ein ständiges Werden und Vergehen und somit sicher eine Metapher auf die großen Fragen des Lebens.

Der Zuschlag fiel dann bei knapp 30 000 Pfund. Das ist ansehnlich, aber nur ein Bruchteil der knappen halben Million, für die im Konkurrenzhaus Christie's ein ebenfalls von einer künstlichen Intelligenz erzeugtes Bild im vergangenen Herbst versteigert wurde. Neben der Sotheby's-Auktion ging in der New Yorker Galerie HG Contemporary vergangene Woche auch die Ausstellung "Faceless Portraits transcending time" zu Ende. Die gezeigten Bilder, so heißt es im Katalog, seien "eine Kollaboration zwischen einer künstlichen Intelligenz namens AICAN und ihrem Schöpfer".

Ist KI-Kunst nur ein kurzlebiger Trend?

Der größte Teil der Werke sei auch schon verkauft. "KI erobert die Kunstwelt" titeln Technik-Blogs wie Kunstmagazine aufgrund solcher Meldungen gleichermaßen, hier und da war gar von einem "KI-Goldrausch" die Rede. Sind KI-Kunstwerke also die Readymades der Gegenwart? Das neueste Spielzeug für eine Sammlerszene, der sich selbst zerstörende Bilder nicht mehr genug sind und die verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Kick ist? Oder doch, wenn man so will, eine auf die Spitze getriebene Art Brut - wer kann in Sachen menschlichen Empfindens schon mehr Outsider sein als eine Maschine?

Hinein in diese perfekte Mischung aus Hype und Kapital grätscht nun der Harvard-Philosoph Sean Kelly, der nun in einem temperamentvollen Essay schreibt, warum Kreativität eine genuin menschliche Eigenschaft sei und niemals von einer Maschine emuliert werden könne. Software sei zwar in der Lage, ein Bild im Stil von Rembrandt zu malen oder eine Fuge im Stil von Bach zu komponieren. Doch weil sie das nur durch Relationen auf bereits existierende Werke tut, könne sie nie etwas schaffen, das unser Verständnis von Wahrheit oder Schönheit fundamental verändert, so wie etwa der Expressionismus oder die Zwölfton-Musik.

Fairerweise muss man sagen, dass die meisten der KI-Kunstschaffenden das auch gar nicht behaupten. Sie sehen die KI eher als Werkzeug. Aber ist das überhaupt der passende Vergleich? Ein Programm ist eben nicht nur ein Werkzeug wie ein Pinsel oder eine Kamera. Kein neutraler Kasten, der abhängig von Blendenöffnung, Lichtverhältnis und ISO-Wert immer das gleiche Ergebnis repliziert. Das Resultat des Kunst-Algorithmus ist immer abhängig vom Material, auf das er trainiert ist.

Offen bleibt, ob die KI-Kunst nur ein kurzlebiger Trend ist oder ob die Programme als legitime Alternative zur Kunstproduktion akzeptiert werden. Zumindest für AICAN, die New Yorker KI, haben sich die Macher schon zahlreiche vermarktbare Anwendungen erdacht, die über das schnöde Bildermalen hinausgehen. Das Programm könnte etwa Museen dabei helfen, Fälschungen aufzuspüren, oder passende Erweiterungen zu bereits bestehenden Sammlungen empfehlen. Ein weiterer möglicher Einsatzzweck: Ausgehend von aktuellen Trends die visuelle Bestückung von Hotelketten oder Coffeeshop-Franchises für das nächste Jahr auswählen. So würde die Software bestimmen, was die Menschen als schön und hip empfinden. In Zukunft machen die Maschine also nicht nur die Kunst - sie schreiben auch die Kritik.

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: