Genau wie der Straßenkarneval folgt auch die Kölner Videospielmesse Gamescom einer seit Langem etablierten Choreografie. Die Veranstalter sprechen von neuen Rekorden in Sachen Ausstellern, Partnerländern und Besuchern, und, ach ja, die haben auch eine gute Zeit, sind oft verkleidet, filmen sich bei ihren Kapriolen und sorgen für User-Engagement.
Die eigens entsandten Reporter der Fernsehsender blicken weltbewegt in die Kamera und betonen, dass man es hier mit „dem neuen Mainstream“ zu tun habe. Politiker aus mittleren bis gar oberen Rängen – Wirtschaftsminister Habeck war da – freuen sich über den Kulissenwechsel auf der größten Messe dieser Art weltweit.
Wahr ist aber auch: Die vergangenen beiden Jahre waren für die Industrie ein Albtraum. Die Umsätze sind seit langer Zeit sogar rückläufig. Geschätzt über 11 000 Menschen verloren im laufenden Jahr ihren Job in der Branche und damit bereits jetzt mehr als im gesamten Jahr 2023. Die Angst vor generativer KI geht um, und während die mächtige Schauspielergewerkschaft in Hollywood nur mal ein paar Wochen mit den Muskeln spielen muss, ziehen sich die Verhandlungen der Gaming-Sparte mit den Arbeitgebern nun schon seit 18 Monaten. Ende Juli wurde nun der Streik ausgerufen.
Wo sind die neuen Ideen?
Es mangelt nicht nur an Lösungen für die Zukunft, sondern auch an Ideen in der Gegenwart. Die allermeisten der in Köln vorgestellten neuen Titel sind entweder Fortsetzungen oder Videospieladaptionen anderer Unterhaltungsfranchise wie Marvels Superhelden-Pantheon.
Deutschland trifft es dabei besonders hart. Die im internationalen Vergleich ohnehin schon mickrigen Fördertöpfe werden eingefroren, zuletzt sind mehr als 60 Millionen Euro dem Haushaltshickhack der Ampelkoalition zum Opfer gefallen. Da hilft auch nicht, dass Robert Habeck von Videospielen als „gesellschaftlicher Teilhabe“ und „digitalen Biotopen“ spricht. Der Zyniker möchte gleich Artenschutz beantragen und würde den Bewohnern des gefährdeten Lebensraums gern ein paar Tage freudiger Selbstvergessenheit gönnen.
Leider ist es nicht ganz so einfach, denn 2024 markiert auch den zehnten Jahrestag der sogenannten Gamergate-Kontroverse. 2014 brach unter Videospielern ein Kulturkampf um die Deutungshoheit über das Medium aus. Damals attackierten organisierte Trolle weibliche Videospiel-Entwickler und -Kritiker, es kam zu Morddrohungen, Doxxing und anderen Übergriffen. Gamergate artikulierte eine besondere Art von toxischer Männlichkeit, eine Wut darüber, Macht zu verlieren, nicht mehr die alleinige Zielgruppe zu sein.
In der Gaming-Welt herrschen nach wie vor männliche Stereotype
Was als kindische Weinerlichkeit gegen mehr Diversität und weniger Klischees begann, hat sich seitdem weiterentwickelt. Die Fankulturen des Internets setzen sich im politischen Diskurs fort. So ist der verzweifelte Wunsch, den männlichen Status quo aufrechtzuerhalten – und die Wut über seinen Niedergang – in vielen der Codes der neuen Rechten selbst zu finden.
Gamergate setzt sich in der sogenannten maskulistischen Bewegung fort bis hin zur aktuellen Version des Trumpismus. Obwohl Gamergate aus einer Nischen-Subkultur hervorging, finden sich die gleichen Elemente heute bei Influencern wie Andrew Tate wieder, ebenso wie in Elon Musk oder J. D. Vance. Schon wird im Zuge des traurigen Jahrestags ein „Gamergate 2.0“ ausgerufen.
Gamergate bietet archetypische, stereotype Extreme von Männlichkeit und umreißt, was es in bestimmten Ecken des Internets bedeutet, ein Mann zu sein. Die notorisch Abgehängten finden nach wie vor ein Ventil in einer Kultur, in der Spielerinnen in Online-Multiplayer-Arenen allein deshalb belästigt werden, weil sie durch ihre Stimme als Frau zu erkennen sind. Auch das ist leider mainstreamfähig geworden.