Netzkolumne:Fluchtbewegungen

Social Media Plattform Parler

Auf einem Handy wird die Webseite der Social Media Plattform Parler angezeigt. Im Hintergrund ist auf einem Bildschirm das Logo der Plattform.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Die großen Internetplattformen haben Trump und seine Anhänger gesperrt. Die suchen nun neue Wege ins Netz - ihr Vorbild könnte ausgerechnet die Pornoindustrie sein.

Von Michael Moorstedt

Die Zeit der Ausreden scheint vorbei zu sein. Nachdem ein rechter Mob Anfang Januar das US-Kapitol gestürmt hatte und sich für die Aktion zu einem Großteil über Social-Media-Dienste verabredet hatte, gibt es nun längst überfällige Konsequenzen. Donald Trumps Nutzerprofile wurden quer durch die Bank gesperrt. Allein Twitter legte mehr als 70 000 Accounts still, die der Qanon-Verschwörung anhingen. Die stramm rechte Echokammer und selbsternannte Twitter-Alternative Parler wurde aus den App-Stores von Google und Apple verbannt.

Anfang vergangener Woche versetzte Amazon dann den wohl vernichtenden Schlag, indem man die Website von den Servern der Amazon-Web-Services-Cloud schmiss. Derweil verweigern auch immer mehr Zahlungsdienstleister und Webshop-Anbieter die Zusammenarbeit mit Plattformen aus dem Trump-Kosmos. Längst geht es nicht mehr nur um bloßes Stummschalten und Blockieren von Nutzerkonten auf den Plattformen selbst. Sondern um das wortwörtliche Entziehen der Plattform.

Und nun? Zunächst einmal beschworen republikanische Politiker einmal mehr die vermeintliche Cancel Culture herauf und beklagten sich lautstark darüber, dass sie die vermeintliche Säuberungsaktion eine Vielzahl von Twitter-Followern gekostet habe. Im nächsten Schritt werden die reaktionären Filterblasen wohl zwar mangels potenziellen Publikums etwas schrumpfen, aber womöglich werden sie dadurch auch noch luftdichter gegenüber moderaten Weltsichten.

Die Porno-Macher haben sich ihren eigenen Kosmos und ihre eigene Normalität geschaffen

Schon seit der US-Wahl hat eine Wanderbewegung hin zu alternativen Plattformen eingesetzt. Manchen ist dabei der Besucheransturm von rechts außen zumindest nicht ganz unwillkommen, bei anderen ist er sogar ausdrücklich erwünscht. Die Top-Kandidaten sind neben Portalen aus dem Alt-Right-Kosmos wie Gab.ai oder Bitchute selbstverständlich verschlüsselte Messenger-Apps wie Signal oder Telegram, die sich auch vor dem Big-Tech-Bannfluch schon großer Beliebtheit in rechtskonservativen Kreisen erfreuten.

Der Konflikt wird sich aber wohl auch noch in andere Richtungen verlagern. Weg von den Mainstream-Angeboten, hin zu Seiten, die bis vor Kurzem eher noch zu den Wellness-Oasen des Web gezählt werden durften. Nach Ansicht des Tech-Magazins OneZero zählt dazu unter anderem die Podcast-Sparte des Streamingportals Spotify, das gerade unter Angehörigen der Tech-Branche enorm beliebte Audio-Angebot Clubhouse oder auch die rasant wachsende Newsletter-Plattform Substack. Schließlich wimmelt es hier bereits in den Top-Newslettern vor lauter rechten Meinungsmachern. Kommt es nach dem algorithmisch verstärkten Hass auf Twitter jetzt also zur Renaissance des E-Mail-Kettenbriefs aus den Frühzeiten des Web?

Es scheint gut möglich zu sein. Denn bislang berufen sich die Macher auf zahnlose Standardklauseln in den Nutzungsbedingungen, die Hasspredigten untersagen. Man werde "die Situation im Auge behalten", sagte etwa ein Sprecher der App Telegram und vielleicht war er sich selbst dessen bewusst, wie sehr er damit die Appeasement-Positionen wiederkäute, die bis vor Kurzem noch auch Twitter oder Facebook bezogen. Substack-CEO Chris Best ließ sich dagegen dahingehend zitieren, dass sich Menschen, die von seinem Unternehmen eine "redaktionelle Haltung" erwarten, lieber einen anderen Service suchen sollten. Einmal mehr wird die hemdsärmelige Ausrede vom Dasein als Plattform bemüht, die im "Wettkampf der Ideen" Neutralität zu wahren habe.

Sollte aber auch hier ein Umdenken stattfinden, gäbe es noch eine weitere Alternative. Vorbild könnte ausgerechnet die Porno-Industrie sein. Hier hat man seit Anbeginn des Web Erfahrung mit vermeintlich seriösen Geschäftspartnern, die sich um den guten Ruf ihrer Marke sorgten. Also hat man sich im Laufe der Zeit einen eigenen Kosmos erschaffen, in dem Normalität neu verhandelt wurde. Webhosting-Anbieter wie Sin Safer oder Vice Temple sind dezidiert porno-freundlich, Zahlungen können über Kryptowährungen abgewickelt werden. Alles, was es dafür braucht, ist Zeit, eine Menge Geld und Mitarbeiter mit entsprechendem Know-how. Theoretisch ist es also möglich, eine dezidiert rechte Infrastruktur und damit sozusagen ein rechtes Gegen-Web zu schaffen.

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