Amazon "Dylan":Ein Armband, das Gefühle verstehen soll

Amazon "Dylan": Amazon-Chef Jeff Bezos lässt seinen Entwicklern viele Freiräume für Gedankenspiele.

Amazon-Chef Jeff Bezos lässt seinen Entwicklern viele Freiräume für Gedankenspiele.

(Foto: AP)

Freude, Trauer, Ärger: Amazon entwickelt ein Gadget, das menschliche Gefühle erkennen soll. Auch andere Unternehmen wollen Technik "emotionale Intelligenz" verleihen.

Von Michael Moorstedt

Es gab Zeiten, in denen sich erwachsene Menschen bei der Ankündigung neuer Technik freuten wie früher auf Weihnachten. Heutzutage begegnet man dieser geradezu kindlichen Begeisterung immer seltener. In Zeiten technischer Überwachung klingen die Beschreibungen kommender Produkte fast wie eine Drohung. Die jüngste stammt aus dem Hause Amazon. Dort wird ein Gadget entwickelt, das menschliche Emotionen erkennen können soll.

Laut internen Dokumenten soll das Gerät am Handgelenk getragen werden. Über Mikrofone werde eine Software den Gefühlszustand des Trägers auswerten. Die Technik soll helfen, "effektiver" mit den Mitmenschen zu interagieren - was auch immer darunter in der Lesart von Amazon zu verstehen ist. Unterschieden werde dabei zwischen "Freude, Ärger, Trauer, Angst, Langeweile" und noch einem halben Dutzend anderer Empfindungen. Aus dem entsprechenden Patentantrag, der im vergangenen Jahr eingereicht wurde, geht hervor, dass Amazon seine Produktempfehlungen an die von "Dylan" gelieferten Informationen anpassen könnte. Wer Freude empfindet, würde vielleicht ein Angebot für Popmusik oder ein Trampolin bekommen. Bei Sorge oder Trauer stünden wahrscheinlich rezeptfreie Stimmungsaufheller ganz oben auf der Liste.

Nutzer verstehen

Noch ist unklar, wie weit das Projekt mit dem Codenamen "Dylan" bereits gediehen ist oder ob es jemals auf den Markt kommt. Bei Amazon lässt man den Entwicklern viele Freiräume für Gedankenspiele. Jede Idee, die nicht sofort wieder verpufft ist, scheint zum Patent angemeldet zu werden. In den letzten paar Jahren fand man etwa Skizzen zu autonomen Drohnenschwärmen, tunnelbasierten Liefersystemen oder Unterwasser-Logistikzentren auf der Liste. Die Einreichungen bewegen sich irgendwo zwischen ganz normaler Silicon-Valley-Hybris und 007-Superschurken-Niveau.

Dass Computer durch Videoaufnahmen oder Sprachaufzeichnungen die Gefühle von Menschen decodieren, ist in der Science-Fiction ein beliebtes Motiv. In der Realität nennt sich das Feld Affective Computing und scheint zu gleichen Teilen aus Psychologie, künstlicher Intelligenz und Voodoo zu bestehen.

Bislang war die Disziplin vor allem das Spielfeld von ambitionierten Start-ups und nicht von Tech-Monopolisten. Mittlerweile versprechen sich Unternehmer und Investoren aber ein Milliardengeschäft. Eine Firma, die sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht hat, nennt sich naheliegenderweise Affectiva. Sie verkündete vor Kurzem die Entwicklung einer neuen Software namens Human Perception AI. Man wolle der Technik "emotionale Intelligenz" verleihen, so die Entwickler.

Dabei geht es nicht nur um basale Zustände wie Angst oder Ärger, sondern um komplexere Empfindungen. Dazu werden neben Sprache auch Gesichtsausdrücke analysiert. Die zuständigen PR-Abteilungen schaffen es dreist, das als Akt der Humanisierung darzustellen: Um noch nützlicher zu werden, müsse Technik in der Lage sein, ihre Nutzer auf einer tiefen menschlichen Ebene zu verstehen. Um die dabei aufkommenden ethischen Fragen werde man sich zu einem späteren Zeitpunkt kümmern.

Anders als bei Amazon zielt man bei Affectiva nicht nur auf schnöde Konsumentscheidungen. Sondern auf die totale Dekodierung menschlichen Empfindens. Durch die Omnipräsenz entsprechender Sensoren könnte ein Smartphone erkennen, ob sich der Nutzer wirklich konzentriert - so wie Autos ihre Fahrer jetzt schon überwachen und bei Müdigkeit warnen. Im für die Zukunft wahrscheinlichen Fall, dass es sich um ein autonomes Fahrzeug handeln sollte, wüsste das Vehikel auch, ob seinen Insassen aufgrund der Fahrweise schlecht wird.

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