Netzkolumne:Bitte rufen Sie nicht die Polizei!

Am Mittwoch war Facebook für zwölf Stunden nicht erreichbar. Das ist gut für die Konkurrenz, aber katastrophal für alle Menschen, die auf das Netzwerk als Verdienstgrundlage angewiesen sind.

Von Michael Moorstedt

Am vergangenen Mittwoch, Punkt neun Uhr Ortszeit, gingen bei Facebook die Lichter aus. Aufgrund einer fehlerhaften Serverkonfiguration waren das Netzwerk und die mit ihm verbundenen Dienste wie Instagram teilweise über mehr als zwölf Stunden auf der ganzen Welt nicht erreichbar. Weil wir 2019 haben und alles seltsam geworden ist, schafften es die Nachrichten über den Blackout auch ins Frühstücksfernsehen und die Abendnachrichten. Verbunden mit der wohl nicht ganz ernst gemeinten Bitte, man möge doch davon absehen, aufgrund des Ausfalls die Polizei zu rufen. Oft kam auch der Vorschlag auf, sich, wenn alles überstanden sei, T-Shirts zu kaufen mit der Aufschrift "Ich war dabei" oder "Ich habe überlebt".

Solch süffisante Kommentare unterschätzen die Rolle, die Facebook und die anderen monolithischen Tech-Konzerne im Internet mittlerweile innehaben. Sie sind Schlüsselfaktoren der öffentlichen Infrastruktur. Sie vermitteln uns unseren Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen. Beinahe drei Viertel aller Page Impressions, die von Social Media stammen, kommen von Facebook oder Instagram, und mehr als die Hälfte der Bandbreite, die durch die großen Unterseekabel über die gesamte Erde verteilt wird, wird von Facebook und Co in Anspruch genommen. Außerdem werden die Konzerne immer größer. Im letzten Jahrzehnt haben sich die großen Fünf, also Apple, Amazon, Facebook, Google und Microsoft, mehr als 400 Start-ups einverleibt. Sie sind, um eine Floskel aus der Finanzwirtschaft zu bemühen, längst too big to fail.

Würde man sich mit einer analogen Analogie behelfen, wäre ein Facebook-Ausfall so, als würden in einer Stadt sämtliche Werbe- und Reklameschilder verschwinden und gleichzeitig sämtliche Telefon- und Adressbücher gelöscht werden. Den spottenden Vertretern der alten Medien mag ein Vergleich mit den großen Stromausfällen von New York helfen, die längst Einzug in die allgemeine Folklore gehalten haben.

Nur sind die direkten Auswirkungen kein Babyboom neun Monate später, wie die Legende besagt, sondern ein sofort merkbarer Anstieg bei der Nachfrage anderer Dienstleistungen. Alternative Anbieter wie der Kurznachrichtendienst Telegram verzeichneten innerhalb von 24 Stunden mehr als drei Millionen neue Nutzer. Auch die Aufrufe der Webseiten klassischer Medien steigen bei einem Ausfall von Facebook signifikant.

Doch für die Menschen, die auf die Systeme angewiesen sind, ist es die Apokalypse. Ganzen Ökosystemen, die nicht mehr einfach so im Netz, sondern ausschließlich auf Facebook oder Instagram existieren, wird die Lebensgrundlage entzogen. Es gibt Menschen, die ausschließlich hier ihre Dienstleistungen bewerben, ihre Waren verkaufen. Menschen, die ihre gesamte Existenz mit dem Netzwerk verknüpft haben. Sie könnten ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich habe überlebt" mit Stolz tragen.

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