Netzdepeschen:Teile und herrsche

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Von Delicious über Facebook hin zu Tumblr: Jeder will mitteilen, wo er sich aufhält, was der Mittagstisch zu bieten hatte, wen er gerade liebt und wen er hasst. Aber woraus speist sich dieser neue Reflex des "Sharings" von persönlichen Befindlichkeiten und echten Nachrichten?

Michael Moorstedt

Sharing, also das Teilen von Inhalten, ist längst die Hauptbeschäftigung im sozialen Netz. Von Delicious über Facebook hin zu Tumblr - jeder teilt mit, wo er sich aufhält, was der Mittagstisch zu bieten hatte, wen er gerade liebt und wen er hasst. Die Möglichkeit zu teilen besteht immer, egal ob über Re-Tweets, den omnipräsenten "Gefällt-mir"-Knopf bei Facebook oder die inzwischen fast schon antiquierte Sammel-E-Mail. Und natürlich schwimmen in dieser erstaunlich ausgewogenen Mischung aus Elementarem und Banalem immer auch Nachrichten mit. Artikel, die die Nutzer bewegen, sie belustigen oder empören.

"Sitze im Meeting", "Fahre nach Duisburg" oder "Esse Linsensuppe": User teilen ihre alltäglichen Tätigkeiten ununterbrochen im Netz mit - nicht so der Karikaturensammler Koos van Weringh; er hat der Welt per Postkarte mitzuteilen, dass er nicht auf Facebook ist.  (Foto: dpa)

Woraus speist sich dieser neue Reflex? Eine Antwort scheint zunächst sehr einfach: Wer denkt, dass bestimmte Inhalte für sein Netzwerk lustig oder interessant sein könnten, der verbreitet sie. Er teilt die Informationshäppchen zum Nutzen der anderen. Nicht zuletzt steigt damit auch sein soziales Prestige. Aber wie schafft man es, dass die eigenen Botschaften auch "Viralität" entwickeln? Dass sie die Online-Konversationen infizieren und sich von selbst weiterverbreiten?

Eine Untersuchung bei der New York Times ergab, dass es Nachrichten mit emotionalem Inhalt - seien es die Heilung eines Aids-Patienten oder die exorbitanten Boni von Wallstreet-Bankern - mit einer sehr viel höheren Wahrscheinlichkeit in die Liste der am häufigsten weitergeleiteten Artikel schaffen als wichtigere, aber nüchterne Nachrichten. In einer neuen Studie hat Jonah Berger, Verhaltensökonom an der Universität von Pennsylvania nun untersucht, wonach sich die Aufmerksamkeit richtet. Und es scheint - wie so oft - lange nicht so selbstbestimmt zuzugehen, wie viele meinen. Ob eine Nachricht weiterverbreitet wird, hat viel mehr mit dem eigenen Befinden und der Umwelt zu tun als mit dem eigentlichen Inhalt.

Dazu gab Berger einer Gruppe von 100 Studenten zunächst zwei verschiedene Arten von Videos zu sehen. Die einen sollten starke Emotionen auslösen, Angst, Spaß oder Mitgefühl, die anderen waren staubtrockene Nachrichtenstücke. In einer darauf folgenden, zweiten Aufgabe bekamen die Probanden einen nüchternen Artikel zu sehen und wurden gefragt, ob sie bereit wären, ihn an Freunde oder Kollegen weiterzuleiten.

Das Ergebnis: Nur diejenigen, die ein emotional anregendes Video gesehen hatten, wollten teilen. Ob sie gerade Spaß oder Furcht empfunden hatten, spielte keine Rolle. "Situationen, die emotional erregen, verstärken soziale Übermittlung", konstatiert Jonah Berger. Interessanterweise scheint sich auch eine nicht-emotionale Erregung, körperliche Anstrengung, positiv auf die Neigung zu teilen auszuwirken. Berger schickte eine Hälfte seiner Probanden für kurze Zeit auf ein Laufband. Danach waren 75 Prozent der Läufer bereit, eine zuvor als nicht-emotional bewertete Nachricht weiterzuleiten. In der Kontrollgruppe, die nicht joggen musste, war es nur ein Drittel. Vielleicht sollte man sich, bevor man den nächsten Link weiterleitet, fragen, ob man ihn wirklich nützlich findet. Oder ob man gerade nur eine Treppe hinaufgestiegen ist.

© SZ vom 29.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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