Netzdepeschen:Youtube rettete die Postmoderne

Hat das Internet die Postmoderne auf dem Gewissen? In einem Essay für den "Guardian" scheint der britische Schriftsteller Hari Kunzru diese Frage mit "Ja" zu beanworten. Doch wer seine Gedanken genauer interpretiert, kommt zu der Erkenntnis, dass das Web die Postmoderne weniger zur Auflösung gebracht hat, als vielmehr zur Vollendung.

Niklas Hofmann

Für beendet erklärt haben Zeitungen die Postmoderne bereits in den siebziger Jahren. Als quasi abgeschlossene Epoche, "1960 - 1980", betrachtete sie auch 1984 schon das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (längst selbst eine Ikone des postmodernen Bauens) in seiner Eröffnungsausstellung. Und heute, wiederum fast dreißig Jahre später, feiert die Popkultur den prä-postmodernen Purismus der Etuikleider und schmalen Anzüge, in welchen sich die Protagonisten der amerikanischen Serie "Mad Men" durch die Architekturwelt des International Style bewegen. Das Vögelchen auf dem Alessi-Kessel zwitschert inzwischen in sehr weiter Ferne.

Youtube

Die "Essenz der Postmoderne" schreibt der britische Schriftsteller Hari Kunzruim, war "die Idee, dass es keine Essenz gibt, dass wir uns durch eine Welt der Zeichen und Wunder bewegen, in der alles bereits einmal gemacht worden ist, nur als kulturelles Strandgut herumliegt und darauf wartet, wiederverwendet und in neuen und ungewöhnlichen Weisen kombiniert zu werden. Akkurater aber lässt sich die grandiose Mischung aus Kulturarchiv und Remix-Maschine, die etwa Youtube heute darstellt, kaum beschreiben.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der britische Schriftsteller Hari Kunzru hat über Googles Ngram Viewer das Vorkommen der Begriffe "Postmoderne" und "Internet" in englischsprachigen Büchern zwischen 1975 und der Gegenwart miteinander verglichen und festgestellt, dass "Postmoderne" seinen Höhepunkt im Jahr 1997, danach aber einen harten Abfall erlebte. Das Wort "Internet" hingegen überholte etwa zum gleichen Zeitpunkt und steigt im Gebrauch bis heute an. Als Beweisführung für irgendeine Art von Korrelation ist das vielleicht ein wenig dürftig, soll aber unterstreichen, dass die von den Zeitgenossen als solche erlebte Postmoderne ein zutiefst "prä-digitales Phänomen" gewesen ist.

Wenn also anlässlich der in Kürze beginnenden großen Ausstellung "Postmodernism: Style and Subversion 1970 - 1990" im Londoner Victoria and Albert Museum der Tod der Postmoderne nun wieder in aller Munde ist und jedermann sich die Frage stellt, wer sie auf dem Gewissen hat, dann bietet Kunzru in einem Beitrag für den britischen Guardian das Internet als Verdächtigen Nummer eins an. Das Netz habe die Postmoderne als künstlerisch-gestalterische Bewegung schlicht überflüssig gemacht, sei doch all das, was sie abstrakt ausgemacht habe, letztlich im Internet real, und somit als Idee überflüssig geworden.

Unausgesprochen schwingen bei Kunzru damit auch Gedanken mit, die der Literaturwissenschaftler Alan Kirby bereits vor fünf Jahren in der Zeitschrift Philosophy Now unter dem Titel "The Death of Postmodernism And Beyond" und später in seinem Buch "Digimodernism" ausformuliert hat.

Kirby aber sah 2006 vor allem einen harten Gegensatz zwischen Web und Postmoderne. Diese habe wie Moderne und Romantik vor ihr den Autor zum Fetisch erhoben, selbst wenn der mit seinem eigenen Verschwinden kokettiert habe. Nun, so Kirby, trete an seine Stelle der Rezipient mit seiner Fähigkeit sich im Netz individuell "auf eine Weise durch Seiten zu bewegen, die nicht dupliziert werden kann, und einen Weg durch kulturelle Produkte zu erfinden, der nie zuvor existiert hat und es auch nie wieder wird". Diese Diametralität hat Kirby inzwischen relativiert. Der von ihm selbst ausgerufene Tod der Postmoderne sei eine Übertreibung gewesen, räumte er im Magazin Times Higher Education im vergangenen Jahr ausdrücklich ein. Zwar sei deren Hochphase entschieden vorbei, doch immerhin, so konzedierte er, "befeuern postmoderne Anschauungen die Plattformen des Web 2.0".

Womit man wieder bei Hari Kunzru wäre. Die "Essenz der Postmoderne" schreibt er im Guardian, war "die Idee, dass es keine Essenz gibt, dass wir uns durch eine Welt der Zeichen und Wunder bewegen, in der alles bereits einmal gemacht worden ist, nur als kulturelles Strandgut herumliegt und darauf wartet, wiederverwendet und in neuen und ungewöhnlichen Weisen kombiniert zu werden. Nichts ist direkt, nichts ist neu." Akkurater aber lässt sich die grandiose Mischung aus Kulturarchiv und Remix-Maschine, die etwa Youtube heute darstellt, kaum beschreiben. So gesehen hätte das Web die Postmoderne dann aber wohl weniger zur Auflösung gebracht, als vielmehr zur Vollendung.

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