Süddeutsche Zeitung

Netzdepeschen (27):Die Prinzessin aus dem Netz

Lesezeit: 2 min

Der Mythos des kleinen Mädchens, das im Kinderzimmer vor sich hin singt und die Trällereien ins Netz stellt, wird anderswo schon länger gepflegt. Jetzt hat auch Deutschland seine virtuelle Pop-Prinzessin.

Niklas Hofmann

Es hat etwas gedauert, aber jetzt hat auch Deutschland seine erste Pop-Prinzessin aus dem Netz. Mehr als 3,6 Millionen Mal ist bei MyVideo der Schwarzweiß-Clip aufgerufen worden, in dem die hübsche, dunkelhaarige Schülerin Mina ein trauriges Lied namens ,,How the Angels Fly'' singt.

Den Plattenvertrag bei Warner Music hat die 14-Jährige, die noch nie vor Publikum aufgetreten ist, soeben unterschrieben. Eine Single soll spätestens Ende des Jahres auf dem Markt sein. Minas Song komponiert sowie das Video gedreht und ins Netz gestellt haben die beiden Betreiber einer Casting-Agentur aus der Nähe von Augsburg. Die Tatsache, dass Minas Video nicht vor der Webcam im Kinderzimmer entstandenen ist, ist kein Geheimnis.

Aus dem Netz auf reale Bühnen

Anderswo wird der beliebte Mythos des einsamen kleinen Mädchens mit viel verborgenem musikalischen Talent noch gewissenhafter gepflegt. Die heute 19-jährige Esmée Denters aus Oosterbeek in Holland begann im Sommer 2006 mit der Webcam ihrer Schwester Videos aufzunehmen, in denen sie Popklassiker und R'n'B-Hits sang. Die machten sie trotz bescheidener Bild- und Tonqualität zur weltweiten YouTube-Berühmtheit.

Bald sang die hübsche Dunkelhaarige mit Stars wie Kelly Rowland, Natasha Bedingfield und Justin Timberlake. Letzterer nahm sie sogar als erste Künstlerin seines eigenen Labels unter Vertrag. Esmée Denters wurde vom Erfolg völlig überrascht. Es sei alles, sagt sie, ,,eine Aschenputtel-Geschichte''.

Ganz ähnlich erging es Mia Rose, 19-jährige Engländerin mit portugiesischen Wurzeln. Sie postete im vergangenen Jahr bei YouTube in großer Zahl Videos, in denen sie zur Gitarre eigene Lieder und bekannte Popsongs zum Besten gibt. Der Channel der hübschen Dunkelhaarigen wurde zu einem der meistabonnierten bei YouTube überhaupt. Auch sie hat natürlich längst einen Plattenvertrag und bastelt in den USA an ihrer Karriere. Inzwischen verfolgen sie jedoch hartnäckig Gerüchte, denen zufolge ihre vermeintlichen Homevideos Teil einer professionellen Marketingkampagne seien.

Beispiellos wäre ein solcher Fall nicht: Auch die 24-jährige Marié Digby aus den USA zog mit ihren Videos (Gitarre, Selbstgeschriebenes und Coverversionen) Millionen YouTube-Klicks auf sich. Radiosender wurden aufmerksam, sogar MTV. Sie habe sich diesen Erfolg, sagt die, richtig, hübsche Dunkelhaarige, ,,nie, niemals vorgestellt'', als sie die Videos in ihrem Wohnzimmer aufgenommen habe.

Im Spätsommer 2007 gab die Disney-Tochter Hollywood Records bekannt, Digby unter Vertrag genommen zu haben. Dass das allerdings schon 2005 geschehen war, anderthalb Jahre vor Mariés erstem YouTube-Video, das fand später das Wall Street Journal heraus. Die Plattenfirma hatte sogar die Songs für Mariés Wohnzimmerclips ausgesucht.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2007
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