Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:Wortreicher Entzug

Kann man, wenn man einmal Filmkritiker war, je wieder damit aufhören? Der klassischen Filmkritik geht es an den Kragen, doch die Schreiber geben keine Ruhe.

Tobias Kniebe

Vielleicht liegt es an der Krise, vielleicht liegt es auch daran, dass eine Ära des Schreibens über Film langsam zu Ende geht: Wer in den letzten Wochen in Sachen Kino im Netz unterwegs war, wurde schnell auf eine doch sehr persönliche Frage zurückgeworfen: Kann man, wenn man einmal Filmkritiker war, je wieder damit aufhören?

Seit Wochen zum Beispiel widerhallt die cinephile Blogosphäre von der Nachricht, dass der Kritiker Andrew Sarris seine Stelle beim New York Observer verloren hat. Nun werden momentan nicht nur in Amerika Journalisten entlassen, Redaktionen verkleinert, Publikationen eingestellt; aber es scheint doch so, zumindest in einer dramatischen Auflistung des Blogs MovieCricket, dass es der klassischen Filmkritik besonders an den Kragen geht:

Unter der Rubrik "The Departed" ist Sarris als amerikanischer Kritiker Nummer 57 aufgelistet, der seit Beginn der Zeitungskrise eingespart wurde - und wahrscheinlich ist er der berühmteste: Seit 53 Jahren dabei, ein Pionier beim Import der französischen Autorentheorie nach Amerika, "der Mann, dem wir alles verdanken". Das wiederum schreibt Glenn Kenny, ein anderer vor kurzem entlassener Kritiker, in seinem Blog Some Came Running.

Nur einen Tag nach dieser Meldung aber war klar: Sarris wird weiter für den Observer schreiben, nur jetzt eben als freier Autor. Alles nicht so tragisch, postete seine Frau, die Kritikerin Molly Haskell - er habe ja auch noch seinen Hauptberuf, als Dozent an der Columbia University. Moment mal, denkt man da: Der Mann ist bald 81, er ist eine Legende, er hat andere Geldquellen, seine beste Zeit liegt lang zurück - warum, zum Teufel, hört er nicht einfach mal auf?

Glenn Kenny und andere Opfer der Krise, die nach ihrem Rauswurf einfach unbezahlt und unbeirrt in Blogs weiterschreiben, legen diesen Verdacht nahe. Krasser ist noch der Fall Roger Ebert: Der unermüdlichste Kritiker der Branche, 65 Jahre alt, vom Krebs halb zerfressen, bespricht nach wie vor quasi jeden Film - und seit er nicht mehr wöchentlich im Fernsehen auftritt, hat auch er noch einen Blog begonnen. Soviel unstillbare Textproduktion bedarf dann doch irgendwann einer Selbstrechtfertigung, die Jim Emerson aktuell in seinem Scanners-Blog versucht hat. "Kann ein Film eine gute Kritik ruinieren?", fragt er - und zählte Beispiele auf, wo ihm Texte über Filme wichtiger, oder doch zumindest genauso wichtig, wurden wie die Filme selbst. Mit dabei ist auch ein Andrew-Sarris-Stück, aus dem Jahr 1968.

Einfach im Netz weitermachen - für Christoph Egger von der Neuen Zürcher Zeitung ist das offenbar keine Alternative. Wie aus dem smarten deutschen Blog cargo-film.de zu erfahren war, wurde Egger vor kurzem frühpensioniert, womit die NZZ-Filmredaktion praktisch zu existieren aufhört.

Ohne diesen persönlichen Anlass zu erwähnen, hat Egger noch einen letzten, recht pathetischen Text geschrieben: "Abschied von der Filmkritik", nachzulesen auf nzz.ch. Die Zeitung, heißt es dort, sei im Gegensatz zum Netz doch der einzige Ort, wo "öffentliche Auseinandersetzung und Bewusstseinsbildung" in Sachen Film einst möglich gewesen, zunehmend aber nicht mehr gefragt sei. Das klingt, als werde hier jemand endgültig verstummen.

Aber eigentlich ist das ja, wenn man ehrlich ist, auch eine tolle Vorstellung - das Kino einfach nur noch zu lieben, ohne etwas dazu sagen zu müssen. Oder unterschätzen wir da vielleicht die Entzugserscheinungen?

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SZ vom 29.6.2009/bey
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