Netz-Depeschen:Wo der Hammer hängt

Für Guido Westerwelle ist ein PC sowas wie ein Nagel, Brigitte Zypries weiß nicht, was ein Browser ist - doch wie das Internet geregelt sein soll, da haben sie den vollen Durchblick.

J. Boie

Wo ist eigentlich der Rechtsstaat, wenn Sebastian Edathy ihn braucht? "Auf meinen Namen wurde vor circa einem Jahr über das Internet bei einem recht bekannten Flensburger Erotik-Versand eine künstliche Vagina bestellt", schrieb der Bundestagsabgeordnete der SPD auf dem Portal abgeordnetenwatch.de. Auf der Webseite beantworten Politiker die Fragen von Wählern. Es sei leider nicht gelungen, den anonymen Besteller ausfindig zu machen, klagt der SPD-Mann. Fazit des Politikers zwischen den Zeilen: Die Überwachung des Internets dürfte durchaus etwas rigider gehandhabt werden. Weil Sebastian Edathy gerne wissen mochte, wer ihm eine künstliche Vagina geschickt hat.

Ohne jeden Anflug von Sachkenntnis

Wortmeldungen von Politikern wie Edathy irritieren und amüsieren Internetnutzer seit Jahren. Sie sind dazu geeignet, die Politikverdrossenheit der jüngeren Generation zu stärken. Nachdem die Politik die Bedürfnisse der mit dem Netz Aufgewachsenen jahrelang quer durch alle Parteien verschlief, sind viele ihrer Vertreter seit ein paar Jahren eifrig dabei, digitale Freiheiten beschneiden zu wollen. Und zwar ohne jeden Anflug von Faktenkenntnis.

"Leider ja" antwortete zum Beispiel Hans-Christian Ströbele (Grüne) auf die Frage von ARD-Kinderreportern, ob er einen Computer besitze, im übrigen habe er zwar "eine eigene Homepage", aber: "Die kann ich überhaupt nicht bedienen." In einem mittlerweile legendären Videobeitrag erklärt auch Guido Westerwelle (FDP), ein Computer sei für ihn etwas "wie ein Hammer oder ein Nagel", Brigitte Zypries (SPD) weiß dagegen nicht, was ein Browser ist. Das Video ist schon ein paar Jahre alt; wer auf YouTube jedoch nach "kinderreporter" und "politiker" sucht, findet schnell verschiedene Versionen. Alle wurden sie Tausende Male angeklickt. Ein Image-Gau für die Politiker.

Ebenfalls auf Youtube kann man Zypries dabei zuschauen, wie sie im Jahr 2008 von einer "Google SMS" redet - einem Produkt, das es niemals außerhalb von Zypries' Phantasie gegeben hat. In ihrem Kopf ist es allerdings eine mächtige Erfindung: "Eine Verfolgungsspeicherung von Veränderungen von SMS." Wer darüber nur lacht, nimmt Zypries nicht ernst. Und tut ihr so Unrecht: Die Frau war im Jahr 2008 Justizministerin und konnte maßgeblich mitbestimmen, welche juristischen Grenzen im Netz gesetzt werden.

Ähnlich beunruhigend ist die jüngste Äußerung von Bundesministerin Ilse Aigner (CSU). Die für Verbraucherschutz zuständige Ministerin drohte dem zu Recht misstrauisch beäugten sozialen Netzwerk Facebook mit ihrer Abmeldung von der Webseite. An den amerikanischen Erfinder von Facebook, den Multimillionär Mark Zuckerberg, schrieb Aigner: "Sollte Facebook nicht bereit sein, seine Firmenpolitik zu ändern und die eklatanten Missstände zu beheben, sehe ich mich gezwungen, meine Mitgliedschaft zu beenden."

Der Brief ist auf der Ministeriums-Seite bmelv.de veröffentlicht. Zuckerberg wird sich jetzt große Sorgen machen. Es bleiben ihm dann ja nur gut 400 Millionen weitere regelmäßige Nutzer seiner Seite übrig. Aber im Ernst: All jene, die auf einen effizienten, kompetenten Beistand einer Bundesministerin gegen Facebooks üble Datenschutzbestimmungen gehofft hatten, sehen sich erneut enttäuscht. Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis die Politik das Netz versteht.

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