Netz-Depeschen:Wie viele Gigabyte hat ein Leben?

Notizen, Kinokarten, die Steuererklärung: Ein pensionierter US-Computerwissenschaftler speichert sein Dasein auf einer Festplatte.

Tobias Moorstedt

Wie viele Gigabyte hat ein Leben? Der pensionierte US-Computerwissenschaftler Gordon Bell sucht seit 2001 im Auftrag von Microsoft nach einer Antwort. Für das Projekt MyLifeBits speichert Bell sein Dasein auf einer Festplatte, legt Notizen, Kinokarten, Fundstücke und selbst die Steuererklärung auf den Scanner und hält mit einer Kamera und einem Mikrofon, die an seiner schwarzen Hornbrille befestigt wurden, jede Konversation und jede Bewegung fest. MyLifeBits ist der Versuch, einen alten Traum der Computerwissenschaften zu verwirklichen: die Memex, eine Datenbank, in der alle Dokumente, Ideen und Ereignisse eines Menschenlebens gespeichert werden können, und in der man durch die eigene Vergangenheit surfen kann.

Netz-Depeschen: Das Archivbild zeigt einen Senior mit seinem PC: In den USA speichert ein pensionierter Wissenschaftler sein ganzes Leben auf Festplatte.

Das Archivbild zeigt einen Senior mit seinem PC: In den USA speichert ein pensionierter Wissenschaftler sein ganzes Leben auf Festplatte.

(Foto: Archiv-Foto: dpa)

Die Memex und das MyLifeBits-Projekt klingen wie Ideen eines Science-Fiction-Autors, aber die Erinnerungssoftware hat mehr mit dem digitalen Alltag der Gegenwart zu tun, als man im ersten Moment denken würde.

Auf beiläufige Art und Weise speichern Menschen heute mit Digitalkameras, Mobiltelefonen und Multimediacomputern ihr Leben ab. Noch liegen die Dateien, die .jpgs, .wavs, .xls und .txts, ungeordnet auf den Festplatten herum, aber in den USA wurden bereits erste Startups gegründet, die das Sammeln und Ordnen der digitalen Erinnerungsfetzen zum Geschäftsprinzip machen wollen.

Die Firma Evernote hat eine Software entwickelt, die man auf dem Computer und dem Mobiltelefon installieren kann und die jedes Foto, jedes Sprachmemo, jede Textdatei automatisch verschlagwortet und mit einem Datum versieht. Ende Dezember teilte die Firma mit, dass bereits mehr als zwei Millionen Menschen den Service nutzen.

Laut Evernote-Vorstandsvorsitzenden Phil Libin sind die Anwendungsmöglichkeiten endlos, man könne zum Beispiel die Powerpoint-Folien einer Präsentation abfotografieren und abspeichern oder in einem Restaurant das Etikett eines besonderen Weins. Seine Ziele sind ambitioniert: "Wir wollen ihr permanentes und vertrauenswürdiges Gedächtnis sein. Für den Rest ihres Lebens!"

Evernote ist nicht das einzige Startup, das die menschlichen Memory-Daten monetarisieren möchte. Mit MemCatch kann man nicht nur Webseite, Textzitate und andere Medieninhalte mit wenigen Klicks in sein digitales Kurzzeitgedächtnis schieben - die Software bietet auch die Möglichkeit, Wissen und Informationen zu bestimmten Themen mit anderen Usern zu teilen. MemCatch will zu einer "offenen Wissens- und Erinnerungsplattform" werden. Man wird sehen, ob Volltext-Suche und die Weisheit der Vielen ein Elektronengehirn bilden können, das den Namen verdient - und ob bei all dem Vorwärtsstreben noch Zeit für die Rückschau bleibt.

Wie aussichtslos das Unterfangen ist, alles, was wichtig ist, zu speichern und zu ordnen, hat Max Frisch in "Der Mensch erscheint im Holozän" beschrieben: "Irgendetwas vergisst man immer (...) der Mensch bleibt ein Laie."

Das gilt vermutlich auch für das Informationszeitalter.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: