Netz-Depeschen (68):User wissen mehr

Trendforscher nutzen das kreative Potential im World Wide Web als kostenlose Quelle der Inspiration. Die Internetgemeinde orakelt über das Wohl der Menschheit und zum Wohle von Firmen.

Franziska Schwarz

Wenn es um die Energiekrise, die Lebensmittelknappheit oder Klima-Opfer geht, sind selbst Experten mitunter ratlos. Das heute startende Onlinespiel Superstruct vertraut darauf, dass Internetnutzer mehr wissen. Sie sind aufgerufen, sich mit Superstruct ins Jahr 2019 zu versetzen, sich anschließend Pandemien und Netzwerkhacker vorzustellen - und dann mit anderen Usern Überlebensstrategien auszutauschen. Die hellsichtigsten Superstruct-Spieler erhalten Punkte.

Netz-Depeschen (68): Blitzbirnen aufgepasst: Wer alles verrät, gibt zuviel preis.

Blitzbirnen aufgepasst: Wer alles verrät, gibt zuviel preis.

(Foto: Foto: ddp)

Das "Institute of the Future", ein nichtkommerzieller Think Tank aus dem kalifornischen Silicon Valley, hat sich das Spielszenario ausgedacht. Die Trendforscher suchen Ideen für ihre Zehn-Jahres-Vorhersage. "Crowdsourcing" nannte Wired-Autor Jeff Howe dieses Prinzip 2006, und löste damit einen der größten Hypes des Web2.0 aus.

Der Unterschied zur Open-Source-Bewegung ist, dass alles nur auf Zuruf geschieht. Das Brainstorming im Netz verfolgt die unterschiedlichsten Ziele. So werden Netznutzer an wissenschaftlichen Forschungsprojekten beteiligt und bekommen von den Firmen für erfolgreiche Lösungen sogar hohe Prämien, meistens werden die freiwilligen Mitarbeiter natürlich schlecht oder gar nicht bezahlt.

Das digitale Brainstorming bringt Bares

Firmen wie Starbucks oder Tchibo crowdsourcen Stimmungsbilder. Der britische Economist berichtete, dass bereits 62 Prozent der Marketingfirmen Crowdsourcing betreiben. Das Engagement der User bringt Bücher, Onlinewahlkampagnen oder Kleidung hervor.

Die beliebte Firma Threadless produziert die T-Shirts, die sich die User wünschen. Nur ausgewählte selbstverständlich, denn durch Crowdsourcing entsteht natürlich auch viel unnützer Informationsüberschuss. Zudem müssen die Firmen damit leben, dass die User bei der Arbeit schludern, Urheberrechte verletzten, oder einfach die Lust verlieren und abspringen.

Oft landet der Job doch wieder bei den Experten. So schrieb Amazon im vergangenen Jahr auf seiner Crowdsourcing-Plattform Mechanical Turk die Suche nach dem Abenteurer Steve Fosset aus. Rund 50 000 User inspizierten Satellitenbilder nach Fossetts verschollenem Flugzeug. Doch Amazon brach das Experiment nach zwei Monaten ab. Es gab zu viele Falschmeldungen.

Pünktlich zur Fernsehdebatte der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten ruft Ameritocracy zur Medienoffensive auf. Internetnutzer sollen die Faktentreue von Politiker-Zitaten überprüfen und so die Berichterstattung von Ideologie befreien. Die Frage ist freilich, ab wann es ein Problem wird, dass die unbezahlten Helfer die Zitate in der Regel vor allem dort überprüfen, wo sie herkommen - im Internet.

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