Netz-Depeschen:Unser Mann in Pjöngjang

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"Schreie, Stille, dann Tränen": In einem Land, in dem die meisten Menschen nicht einmal ahnen, dass es das Internet gibt, saß in den vergangenen Wochen einer und bloggte: zur Fußball-WM.

Niklas Hofmann

Das mythische Pferd Tschollima ist heimgekehrt. Tschollima, so nennen nach einem Fabeltier die Nordkoreaner ihre Fußballmannschaft, und das durchaus passend, denn mythenumrankt wie das geflügelte Ross, das 1000 koreanische Meilen in einem Sprung überwinden kann, war auch der erste Auftritt dieses Fußballteams bei einer Weltmeisterschaft seit 1966.

Die Spiele waren im Reiche Kim Jong Ils angeblich nicht im Fernsehen zu empfangen, dafür drangen Berichte von dort nach außen: dank eines WM-Bloggers. (Foto: dpa)

Die mitgebrachten Fans, angeblich chinesische Schauspieler, vier Spieler angeblich zeitweise ausgerissen, die Spiele im Reiche Kim Jong Ils angeblich nicht im Fernsehen zu empfangen - derart auf Gerüchte sind die Weltmedien mit ihrem begrenzten Zugang zur Volksrepublik in Zeiten der globalen Vernetzung nicht mehr oft zurückgeworfen. So ist das also, wenn aus einem Land nicht einmal getwittert wird.

Und doch saß mitten in dieser Terra Incognita des digitalen Zeitalters, in der laut Reporter ohne Grenzen die meisten Menschen "nicht einmal ahnen, dass es ein Internet gibt", in der vergangenen Woche ein einzelner Mann und bloggte - über die Fußball-WM. "Our Man in Pyongyang" haben die Macher des britischen Fußball-Podcasts " The Football Ramble" ihren auf eigenen Wunsch namenlosen Korrespondenten getauft, und durch die Graham-Greene-Referenz soll der Wahrheitsgehalt seiner Berichte gar nicht in Frage gestellt werden. Jonathan Teague von Football Ramble verbürgt sich für den Autor, einen von nur wenigen westlichen Ausländern, die in der nordkoreanischen Hauptstadt leben.

Unser Mann in Pjöngjang begann gleich, einige Legenden gerade zu rücken. So werde für Südkorea im Norden gejubelt wie man es eben für Verwandte tue, trotz allen Zwistigkeiten. Und Rooney, Beckham und Cristiano Ronaldo seien den Nordkoreanern durchaus vertraute Gesichter, weil das Staatsfernsehen an Sonntagen eine halbstündige Zusammenfassung des internationalen Fußballgeschehens sende. Daher, glaubt der Ramble-Blogger, hätten die Fußballfans des Landes durchaus auch eine realistische Vorstellung vom Leistungsvermögen ihrer eigenen Mannschaft gehabt. Mehr Erwartungsdruck laste in Nordkorea ohnehin auf der erfolgreichen Fußballnationalmannschaft der Frauen.

Die Nacht der Niederlage gegen Portugal, nach dem guten Spiel gegen Brasilien erstmals und unerwartet live übertragen, beschreibt unser Mann in Pjöngjang als surreales Erlebnis. Eine Stadt, deren ohnehin stets leere Straßen völlig verödet waren, Menschen, die vor Fernsehern klebten, und Kellnerinnen, denen schon beim ersten portugiesischen Tor das Wasser in die Augen schoss: "Erst gab es Optimismus. Dann Schreie. Dann Stille. Und schließlich Tränen. Viele Tränen."

© SZ vom 28.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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