Netz-Depeschen:Sie werden dich finden

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Bei Facebook Places kann man nun statt seiner Befindlichkeiten seinen Standort mitteilen: Blogger mediteren daher über die Horrorvision, dass bald die letzte Lüge aus unserem Leben getilgt sein könnte.

Michael Moorstedt

Das Leben eines Technikbloggers ist sehr verlässlich. Ab und zu wird ein neues glitzerndes Gadget zur Rezension geschickt, sonst wartet man auf die Lebenszeichen der großen vier: Apple, Google, Microsoft und Facebook. Als das soziale Netzwerk vorvergangene Woche seine neue Anwendung Facebook Places vorstellte, rumorte es entsprechend gewaltig auf den einschlägigen Webseiten. Nun wird also nicht nur die allgemeine Befindlichkeit, sondern auch der Standort mitgeteilt. Die Verknüpfung von sozialen Netzwerken und ortsabhängigen Diensten, sind sich Experten sicher, ist das nächste große Ding. Vor allem deshalb, weil sogenannte Location Based Services wie Foursquare, Gowalla und nun eben auch Facebook Places ein phantastischer Weg sind, den Nutzer punktgenau mit Werbebotschaften zu penetrieren. Datenschützer dürften schon mal einen prophylaktischen Schauer spüren.

Wenn jeder immer weiß, wo ich gerade bin - bedeutet das nicht das Ende eines jeden Geheimnisses? Zum Beispiel das, mit wem ich die letzte Nacht verbracht habe? Das Bild zeigt eine Szene aus "Liebe, Lust und Seitensprung" mit Françoise Dorléac und Jean Desailly.  (Foto: dpa)

Farhad Manjoo, Technik-Kolumnist des Onlinemagazins Slate.com, meditiert nach einem ersten Test über die Horrorvision, dass dank der Places-Funktion bald auch die letzte Lüge aus unserem Leben getilgt sein wird. Einfach deswegen, weil "Facebook mit diesem System zur Wahrheitspolizei wird, die einen hindert, Freunde, Familie oder Arbeitskollegen ab und zu anzulügen. Darüber, wo man war, was man gemacht, mit wem man die letzte Nacht verbracht hat." Sein Kollege Adrian Chen stimmt ihm zu und schreibt auf Gawker, das Vernünftigste, was mit dem neuen Dienst anzustellen ist, sei, ihn abzustellen. Dazu, zum Abschalten, bieten alle großen Tech-Websites bereits detaillierte Anleitungen an.

Zum Glück, schreibt der Tech-Blogger Michael Wolf auf gigaom.com, gibt es bei all dem ständigen Zwitschern, bei all den digitalen Ortungs- und Erinnerungsfunktionen, ja noch das Buch als letzten analogen, gänzlich unvernetzten Rückzugsort. Doch auch diese Hoffnung auf ein paar Momente Ruhe wird gleich wieder vereitelt. Das elektronische Buch, so Wolf, gewinne an allen Fronten. Der amerikanischen Buchhandelskette Barnes and Noble bescherte ihr E-Reader namens Nook gerade einen Lichtblick im sonst darbenden Geschäft. Auch Amazons neueste Kindle-Modelle zu gesenkten Preisen verkaufen sich bestens. Mit der bloßen Umstellung auf elektronische Tinte sei es aber noch lange nicht getan, so Wolf. Längst arbeiten Entwickler an Applikationen und Geräten, die das Lesen in einen sozialen Kontext einbetten werden.

Was bei den E-Books von Copia mit Community-Funktion, Lesenswert- und Empfehlungslisten noch wie ein Lesezirkel auf Steroiden anmutet, wird bei Bookglutton zu kollaborativem Lesen. Eine integrierte Plattform soll den Freunden anzeigen, wo und was man liest, die eigenen Anmerkungen zum Text auf fremde Bildschirme bringen und ein buchinternes Chat-System bereitstellen. Kurz: ein Taubenschlag voller Besserwisserei und voreiliger Interpretationen. Was bei Käufen aus dem Antiquariat noch einen gewissen Charme birgt - die Sinnerschließung der von Fremden unterstrichenen oder kommentierten Zeilen -, könnte durch den Smog des Netzwerks zu einer Horrorvision werden. Will man, dass der gesamte Freundeskreis weiß, dass man die "Ulysses"-Datei niemals geöffnet hat?

© SZ vom 30.8.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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