Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:"Nuclear Boy" hat Flatulenzen

Ein japanischer Künstler zeichnet eine verstörend niedliche Version des Atomkraftwerks Fukushima - weit weg von dem Bild, das europäische Medien zeigen.

Niklas Hofmann

Der Magen von Nuclear Boy ist durch das Erdbeben gut durcheinandergerüttelt worden. Nun droht ihm Durchfall, einen großen stinkenden Haufen könnte er mitten ins Zimmer machen, und das will natürlich niemand. Deswegen arbeiten Ärzte mit Hochdruck daran, Nuclear Boys Verdauung wieder in Ordnung zu bringen. Doch weil er schon recht unangenehme Flatulenzen entwickelt, können sie es immer nur kurze Zeit in seiner Nähe aushalten und müssen sich bei ihren Heilungsversuchen abwechseln.

Es ist eine niedliche, kindgerechte Version des Geschehens am Atomkraftwerk Fukushima, die der Zeichentrickfilm über "Nuclear Boy" erzählt. So beruhigend wie das liebevoll gebastelte Diorama von Fukushima Daiichi, mit dem der Sender NHK den japanischen Fernsehzuschauer aufklärt. Wenn man aber weiß, dass das bei YouTube in Umlauf gekommene Filmchen nicht als Aufklärungsfilm der japanischen Behörden entstand, sondern von dem bekannten Tokioter Medienkünstler Kazuhiko Hachiya stammt, glaubt man gerade in der unspektakulären Niedlichkeit der Darstellung das Verstörende zu erkennen.

Dennoch ist diese Art der Verarbeitung des Geschehenen denkbar weit entfernt von den Schlagzeilen deutscher oder englischer Zeitungen. Der Amerikaner Daniel Kahl, der seit Jahrzehnten in Japan lebt und dort als Fernsehpersönlichkeit bekannt ist, hat in einem auch in Japan selbst viel verlinkten YouTube-Clip die westlichen Medien dazu aufgerufen, nicht weiter Panik zu verbreiten, ihre Berichte würden in Japan große Verunsicherung hervorrufen.

Man kann nur hoffen, dass Kahl mit seinem Vertrauen in die Experten der Nuklearfirmen recht behält. Ganz sicher kann man kaum sein. Drängend erscheint allerdings vielen in Japan der Wunsch, man möge verstehen, dass in einer vernetzten Welt die Informationen nicht nur aus den Krisengebieten in die Welt, sondern auch aus der Welt in die Krisengebiete zurückflössen.

Ruhigere Hand

Auch in der jüngsten Sendung von Maybrit Illner machte eine Vertreterin der deutsch-japanischen Gesellschaft darauf aufmerksam: Die Japaner, sofern sie nicht gerade in der Krisenzone lebten, hätten Zugang zum Internet. Und sie nähmen durchaus wahr, was und wie im Ausland über ihr Land berichtet werde - übrigens auch, wie in Deutschland die Diskussion vor allem um die eigene alte Atomdebatte kreisten.

Die Folgen des Berichteten zu bedenken, das betrifft aber bei weitem nicht nur die traditionellen europäischen Massenmedien. Der japanische Webdesigner und Blogger Yasuhisa Hasegawa macht sich in einem Blogeintrag, den die Seite Global Voices ins Englische übersetzt hat, Gedanken über die guten und schlechten Seiten der digitalen sozialen Netzwerke im Krisenfall. Einerseits preist er ihren Nutzen in den ersten Stunden nach dem Beben. In einer Situation jedoch wie dem Atomunfall, haben auch Twitterer nur wenig, was sie aus erster Hand berichten können.

Unkritische Re-Tweets könnten da durchaus Schaden anrichten: "Die starke Verbindung zwischen den Nutzern kann dazu dienen Emotionen zu verstärken. Diese Emotionen können positiv, aber auch negativ sein, und Angst und Hass auslösen. Diese Verstärkung kann für diejenigen Nutzer schwerwiegend werden, die passiv Informationen aufnehmen und sie dann an andere weiterleiten, ohne jeden Prozess der Tatsachenprüfung."

Für Hasegawa kein Grund sich von Twitter als Informationsquelle zu verabschieden. Aber doch für eine ruhigere Hand am Re-Tweet-Button.

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SZ vom 21.03.2011/rus
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