Netz Depeschen:Nervöse Welt im Web

Lesezeit: 2 Min.

"Tote Bäume in dünnen Scheiben" - Im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten trifft man auf das kreative Chaos der Literatur und verlässliche alte Hasen.

Simon Strauss

Jetzt hat das E-Book also auch eine einflussreiche Fürsprecherin aus dem Literaturbetrieb hinzugewonnen. Im Interview mit der spanischen Tageszeitung El Pais äußert sich die berühmte Literaturagentin Carmen Balcells, Jahrgang 1930, lobend über das elektronische Buch. Das Verfahren, bei dem Literatur aus dem Internet gezogen wird, sei äußerst praktisch und könne zum Beispiel Studenten helfen, sich billig eine große Bibliothek auf den Bildschirm zu holen. Wo Buchhandel und Verlagswesen bisher meist ablehnend auf die Neuerung reagierten, bietet eine solche Stimme eine unerwartete Abwechslung. Und vielleicht auch einen Anlass, mal wieder nachzusehen, wie sich die Literatur und das Internet mittlerweile sonst so vertragen.

Dass das Netz vielen Menschen Möglichkeiten bietet, Gedanken, Texte und Ähnliches zu veröffentlichen, macht die Suche nach wirklich interessanten Literaturseiten nicht einfacher. Aber auch in dieser nervösen Welt gibt es einige verlässliche alte Hasen: Seit einigen Jahren kann man mit dem Projekt Gutenberg und mit Google Book Search auf Faust und Co. zugreifen. Allerdings ändert auch das heftig kritisierte Abkommen zwischen Google und den amerikanischen Autorenverbänden nichts am allgemeinen Urheberanspruch, der unverändert verhindert, dass die Angebote einem enzyklopädischen Anspruch genügen.

Macht Literaturkritik im Web zum Bücherhasser?

Die Suche nach einschlägigen Rezensions- und allgemeinen Literaturforen gestaltet sich etwas schwieriger. Auf literaturwelt.blog zum Beispiel schreiben knapp zwanzig Blogger regelmäßig über Neuerscheinungen. Allerdings stößt man hier, neben brauchbaren Rezensionen, auch auf manch sehr Seltsames: Einer der Web-Kritiker will bei der kommenden Buchmesse im Oktober lieber über die Besucher als über "tote Bäume in dünnen Scheiben" berichten. Macht Literaturkritik im Web am Ende doch zum Bücherhasser?

Das übersichtliche und täglich mehrmals aktualisierte Startportal der Seite berlinerliteraturkritik.de bietet neben einer Auswahl an Belletristik- und Sachbuch-Rezensionen, auch verschiedene Leseproben, kann aber nicht über den Eindruck hinwegtäuschen, dass der (in der Rubrik "Über uns" gepriesene) "schnelle und kurze Blick auf neue Bücher" eine Zeichenbegrenzung zur Folge hat - nahezu keine Besprechung ist länger als eine Seite.

Und die Autoren? Während in Deutschland renommierte Autoren, die das Netz als Publikationsorgan nutzen, noch immer sehr selten sind, findet man in den USA immer mehr Autoren, die online sehr aktiv sind. So zum Beispiel Colson Whitehead, Autor von "John Henry Days", der seine neueste Kurzgeschichte soeben nicht in einem Verlag oder einer Zeitschrift, sondern häppchenweise auf verschiedenen Internetseiten veröffentlicht hat. Der New Yorker Schriftsteller benutzt dabei mehrere Blogs und Twitter, um eine Short Story über einen Holzhammer zu erzählen. Diesen kann man übrigens jetzt zusammen mit der Geschichte bei Ebay ersteigern.

© SZ vom 07.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: