Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:Mobbing für Fortgeschrittene

Schüler-Mobbing ist keine Erfindung sozialer Netzwerke. Doch seit es MySpace und Facebook gibt, gerät es außer Kontrolle.

Niklas Hofmann

Bastian Balthasar Bux fand seine Zuflucht in Phantásien. Von seinen Mitschülern gehänselt, verspottet und bedrängt, stößt der Held von Michael Endes "Unendlicher Geschichte" in Koreanders Antiquariat das Tor zu einer neuen Welt auf. Die virtuellen Welten, in die sich reale Jugendliche des Jahres 2010 flüchten können, bieten ihnen unter Umständen weit weniger Trost.

Die 15-Jährige Phoebe Prince, die mit ihrer Familie erst kurz zuvor aus Irland in den US-Bundesstaat Massachusetts gezogen war, nahm sich im Januar das Leben, nachdem eine Gruppe von Mitschülern "die Neue" über Wochen auf ihrem Facebook-Profil mit einem Schwall von Beschimpfungen gequält hatte. Noch erstaunlicher als der Vorfall selbst ist für amerikanische Medien die Reaktion der Bezirksstaatsanwältin, die nun neun Jugendliche wegen Stalkings vor Gericht bringen will.

Erbarmungsloses Schüler-Mobbing ist kein Phänomen, das erst Social Networks mit sich gebracht hätten. Doch in der Cyberwelt von Facebook oder MySpace ist die Mob-Bildung offenbar noch leichter.

Die physische Distanz der Netzkommunikation scheint die Hemmschwelle für Gehässigkeiten derart zu senken, dass Opfer, so zeigen es dokumentierte Fälle, unter ganzen Kommentar-Lawinen begraben werden.

In Reaktion auf den Fall Phoebe Prince, nicht der erste in der Region, richtet die Stadt Boston nun eine Cyberbullying-Hotline ein. Internetaffine Schüler sollen zudem als "Cybermentoren" das Geschehen in den Social Networks im Blick behalten. Die Abgeordneten des Staates Massachusetts arbeiten derweil an einem Gesetz zur Bekämpfung des Cyberbullying.

Doch auch nach der Verantwortung der Konzerne hinter den Social Networks wird nun gefragt. Diese gehen jedenfalls sehr unterschiedlich mit dem Problem des Cyberbullying um, wie Emily Bazelon im Online-Magazin Slate beschreibt.

Sie macht bei MySpace wesentlich aktivere Reaktionen auf Bullying-Vorfälle aus als bei Facebook. Über einen "unerklärlichen Mangel an Kooperation" klagte die im Fall Phoebe Prince ermittelnde Staatsanwältin. Dem amerikanischen Recht entspricht das allerdings. Als im Februar ein Gericht in Mailand Bewährungsstrafen über drei Google-Manager verhängte, weil sie auf ihrer Video-Plattform die Verbreitung eines Clips nicht unterbunden hatten, auf dem ein autistischer Junge schikaniert wurde, hatte das in Amerika noch durchgängig zu heftigen Abwehrreaktionen geführt. Italien gefährde das Internet, wenn Online-Dienste für von Nutzern produzierte Inhalte haften sollten, behauptete der Netz-Guru Jeff Jarvis damals.

Doch auch wenn man das Strafrecht hier nicht als Instrument der Wahl ansieht, stellt sich die Frage: Zerstörte es wirklich das Internet, wenn eine Firma wie Facebook, die sich die Nutzungsrechte an allen in ihrem Dienst veröffentlichten Inhalten einräumen lässt und diese zunehmend kommerziell auszuschlachten gedenkt, auch die Verantwortung für eben jene Inhalte übernehmen müsste?

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SZ vom 6.4.2010/rus
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