Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:Kunst fürs Volk

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Die BBC spricht von der "Demokratisierung der Kunst einer Nation": Das Projekt "Your Paintings" des britischen Senders gemeinsam mit der Public Catalogue Foundation will auf einer Website Fotos aller 200.000 Ölgemälde versammeln, die im Vereinigten Königreich in öffentlichem Besitz sind.

Niklas Hofmann

Qualität, Alter, Herkunft, Vollständigkeit - das mögen alles wichtige Kriterien für die Relevanz einer Kunstsammlung sein. Aber den Banausen unter den Tagestouristen beeindruckt am Ende doch vor allem die schiere Masse an Ausstellungsstücken, die in den größten Museen dieser Welt zusammenkommen. Der geschulte Fremdenführer kann die Verblüffung dann auf die Spitze treiben, wenn er darauf hinweist, dass all die Exponate in den endlosen Fluchten eines Hauses nur einen Bruchteil dessen ausmachten, was darüber hinaus noch eingelagert sei. Im Louvre etwa zeigt man etwa 35.000 von 445.000 Werken.

Nun wird die Vorstellung, unermessliche Schätze dämmerten in den Museumsdepots in einem Dornröschenschlaf unbeachtet vor sich hin, einerseits der Rolle nicht gerecht, die das Depot im Arbeitsalltag von Kuratoren, Restauratoren und Kunsthistorikern spielt, und unterschlägt andererseits, dass dort auch manche ungeliebte Schenkung oder mancher Ankauf früherer Epochen verwahrt wird, über den die Zeit und der Wandel des Kunstgeschmacks schlicht hinweggegangen sind.

Dennoch bleibt die Tatsache, dass ein immenser Teil des Kunstbesitzes moderner Gemeinwesen aus rein praktischen Erwägungen der breiten Öffentlichkeit ganz einfach verborgen bleibt. Warum aber muss das auch im Jahr 2011 noch so sein, wo das Internet doch neben Platz für einige Fantastilliarden Katzenfotos auch mehr als genug Raum zumindest für Abbildungen all jener großen wie kleinen Werke der Kunstgeschichte böte?

Die gute alte BBC hat auf diese Frage nun eine Antwort versucht, die seit vergangener Woche in einer Beta-Version online zu bestaunen ist. "Your Paintings" heißt das gemeinsame Projekt mit der Public Catalogue Foundation, auf dessen Website Fotos aller 200.000 Ölgemälde, die im Vereinigten Königreich in öffentlichem Besitz sind, versammelt werden sollen - unter ihnen auch die 80 Prozent, die in Depots hängen, oder etwa in Regierungsgebäuden, und die für Besucher darum nicht zugänglich sind.

Zum Start der Website am vergangenen Donnerstag waren 63.000 Bilder online, alle weiteren sollen bis zum Sommer des nächsten Jahres folgen. Das entscheidende Ziel dabei ist es, die Bildersammlung auch in eine nach Schlagworten recherchierbare Datenbank zu verwandeln. Dabei sollen die Nutzer helfen, die aufgefordert sind, die Gemälde selbständig mit Tags zu versehen, wie sie es aus dem Netz von Foto- oder Videoplattformen gewöhnt sind. Wie dieser Riesenkatalog dann durch "Your Paintings" erschlossen werden könnte, das zeigen jetzt schon beispielsweise die thematischen "Führungen" auf der Website, bei denen eine Auswahl von Bildern mit von Kunsthistorikern, Kritikern oder Künstlern gesprochenen Audiokommentaren unterlegt wird.

Als " Demokratisierung der Kunst einer Nation" bezeichnet die BBC ihr Projekt, bei dem zwei unterschiedliche Motive glücklich zur Deckung kommen. Zum einen die erst zehn Jahre alte, aber längst ins britische Nationalgefühl inkorporierte Errungenschaft, dass alle bedeutenden Museen, die sich in öffentlicher Hand befinden, kostenlos für die Allgemeinheit zugänglich sind. Was der britische Steuerzahler finanziert, das soll er sich auch jederzeit kostenfrei anschauen dürfen. Zum anderen harmoniert das gut mit der Dynamik, die die im Netz wurzelnde Open-Access-Bewegung gewonnen hat, deren Ziel es ist, den Zugang zu Wissen in der elektronischen Welt so frei wie möglich zu gestalten.

Gemeinfrei ins Netz wird das britische Bilderbe zwar zunächst nicht gelangen. Alle Nutzungsrechte bleiben bei diesem Projekt vorerst vorbehalten. Doch anders macht es schon jetzt die US-amerikanische Universität Yale, die im Mai angekündigt hat, kostenlose Abbildungen all jener Objekte ihrer umfangreichen Kunstsammlungen online zu stellen, die sich in der Public Domain befinden, bei denen also keine Urheberrechte mehr gelten. Für diese Reproduktionen räumt Yale dann auch allen Usern vollständig uneingeschränkte Nutzungsrechte ein. Das wird er dann wohl sein, der letzte Schritt bei der demokratischen Eroberung der Depots.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2011
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