Netz-Depeschen:Klotzen statt Klecksen

Lesezeit: 2 min

Gnadenstoß für den Klecks-Test? Psychologen analysieren Persönlichkeiten mit Hilfe von Tintenklecksen. Dank Wikipedia sind die Normantworten aber bekannt.

Niklas Hofmann

Wenn nun in diesem Monat in Prag die Europäische Rorschach-Gesellschaft tagt dann dürfte dort mehr als bei ihren bisherigen Treffen über die Internet-Enzyklopädie Wikipedia gesprochen werden. Und vermutlich nicht allzu viel Gutes.

Ein Schmetterling? Ein Blumenstrauß? Wenn Patienten schon vorher online lesen können, was ihre Antworten bedeuten, wird der Rorschach-Test nutzlos. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Der psychodiagnostische Test, den der Schweizer Psychiater vor knapp 90 Jahren entwickelt hat, und der durch die Interpretationen von zehn Tafeln mit schwarzen und farbigen Tintenklecksen, Aufschluss über psychische Auffälligkeiten der Testpersonen geben soll, ist in seiner Aussagekraft seit Jahrzehnten umstritten. Aber neben ihm hat sich aus der Welt der Psychologie nur noch das Sofa der Psychoanalytiker einen so unverrückbaren Platz im kollektiven Zeichenschatz der Pop-Kultur erobert. In Bildern von Andy Warhol oder Candice Breitz tauchten die Flecken genauso auf wie im Video zu Gnarls Barkleys Hit "Crazy". Und erst vor Kurzem beeindruckte in der Hollywood-Verfilmung des Comics "Watchmen" das phantasievolle Fleckenmuster auf der Gesichtsmaske des düsteren Antihelden namens, ja, Rorschach.

Kein Psychologe, sondern der Notfallmediziner James Heilman aus dem kanadischen Städtchen Moose Jaw könnte dem Test nun allerdings den endgültigen Gnadenstoß versetzt haben. Auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite hat Heilman im Juni nicht nur Rorschachs zehn originale Tintenkleckse veröffentlicht, sondern auch gleich noch die gängigsten Deutungen hinzugefügt, was zu einem heftigen Streit zwischen Psychologen und Wikipedianern führte, den nun die New York Times aus den Forenseiten der Enzyklopädie an die breitere Öffentlichkeit brachte.

Bruce L. Smith, der Präsident der International Society of the Rorschach und andere Psychologen versuchten auf der Wikipedia-Diskussionsseite seit Wochen eine Löschung der Bilder zu erreichen. Die Ergebnisse des Tests würden bedeutungslos, wenn die Normantworten bekannt seien, Patienten würde dadurch geschadet. Die hartgesottenen Wikipedianer verweisen dagegen darauf, dass das Urheberrecht an den Werken des 1922 gestorbenen Rorschach seit langem abgelaufen sei. Und überhaupt, so einer der Diskutanten, gälten die Regeln des Mitmachlexikons: "Die Community wird gewöhnlich nicht bereit sein, Inhalte zu entfernen, weil sie manche Leute stören."

Arkanes Geheimwissen waren die Bilder und gängigen Interpretationen des Rorschach-Tests zwar schon längst nicht mehr. Auch im Internet fanden sich die Kleckse schon. Aber nichts ist eben so ganz und gar öffentlich wie ein Wikipedia-Eintrag, das wissen auch die Psychologen.

Der Psychologieexperte und Blogger Wray Herbert dagegen verweist bei Newsweek.com auf eine Studie, die dem Rorschach-Test ein diagnostisches Versagen bei einer Reihe von Krankheitsbildern und Patientengruppen nachweist und freut sich über den Wikipedia-Knatsch: "Diese Auseinandersetzung um den Rorschach-Test könnte der Anfang eines großen intellektuellen Reinemachens in einem Fach werden, das sich von seinen wissenschaftlichen Wurzeln entfernt hat."

© SZ vom 3.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: