Netz-Depeschen:Ich poste, also bin ich

"Ich habe mein iPhone verloren, und es ist, als wäre jemand gestorben": Eine Studie untersucht, wie der nie zu stillende Mitteilungsdrang in sozialen Netzwerken die Menschen verändert.

Michael Moorstedt

Grundsätzlich gilt es ja, misstrauisch zu sein, wenn jemand von sich behauptet, die Welt in ein paar Sätzen erklären zu können. Zumal wenn er dies im Internet kundtut, wo vermeintliche Anonymität, gepaart mit Streitlust und Besserwisserei zu einer, milde ausgedrückt, eher rüden Diskussionskultur führen. Wenn es allerdings so nüchtern und vorbehaltlos geschieht, wie es Adam Gopnik vergangene Woche im New Yorker aufgeschrieben hat, heißt es, dankbar zu sein für einen Moment der Klarheit. Für das Magazin verfasste Gopnik eine schöne Analyse, in der er drei Archetypen unterscheidet, die die gesellschaftlichen Umwälzungen, die uns das Netz beschert, vollkommen unterschiedlich rezipieren.

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Vor nur einer Generation wäre das dutzendfache Hin- und Herkommunizieren zum Beispiel via Facebook wohl als pathologisch erachtet worden. Heute ist es völlig normal.

(Foto: ddp)

Da wären zum einen die "Ever-Wasers", die der Entwicklung relativ ungerührt entgegensehen, und behaupten, dass man mit den etwaigen Konsequenzen schon umzugehen wisse. Die "Never-Betters" hingegen sind auch mehr als 20 Jahre nachdem das Http-Protokoll erfunden wurde davon überzeugt, dass sich die Menschheit an der Schwelle zu einer digitalen Utopie befindet. Clay Shirky, Professor für neue Medien an der NYU und Autor zahlreicher Bücher, die das Netz als Selbstoptimierungsinstrument feiern, gehört zu dieser Gruppe. Zu den "Better-Nevers", also denjenigen, die glücklicher wären, wenn das Ganze niemals passiert wäre, zählt zum Beispiel Nicholas Carr, notorischer Shirky-Antagonist und Autor von The Shallows.

Sherry Turkle, Professorin für Soziologie und Psychologie am MIT, lässt sich nur schwer in diese Typologie einordnen. Zwar zieht sich auch durch Turkles Werk ein großes Fragezeichen, wenn es um die Auswirkungen des Internets auf die menschliche Psyche geht. Anders als Carr, der seinen Pessimismus gerne lautstark Ausdruck verleiht und mit fragwürdigen Studien unterfüttert, widmet sie sich jedoch eher der Analyse als der Apologie.

Lange vor der Entstehung des Internets, so wie man es heute kennt, beschrieb sie in The Second Self bereits Anfang der achtziger Jahre, wie uns der PC formt. Wie bei der Psychoanalyse, so ihr damaliges Fazit, versuche der Mensch durch die Arbeit mit dem Computer herauszufinden, wer er sei. In ihrem gerade erschienenen Buch Alone Together: Why We Expect More From Technology And Less From Each Other untersucht sie, wie Smartphone-Sucht, die Always-On-Attitüde des modernen Angestellten und der scheinbar nie zu stillende Mitteilungsdrang in den sozialen Netzwerken das Wesen und Denken der Menschen und ihre Beziehungen zueinander verändern.

Das Buch basiert auf Interviews, die Turkle im Verlauf der vergangenen 15 Jahre geführt hat. Sie beschreibt darin sämtliche Ausprägungen der Technik-Fixiertheit. Die Selbstinszenierung auf Facebook oder Aussagen wie "Ich habe mein iPhone verloren, und es ist, als wäre jemand gestorben", die ein Teenager gegenüber Turkle gemacht hatte, mag man zunächst als Hysterie von Süchtigen abtun. Jeder aber, der bereits einmal sein Passwort zum E-Mail-Account oder die SIM-Karte verloren hat, weiß um die eigene Abhängigkeit.

Vor nur einer Generation, so Turkle, wäre das dutzendfache Hin- und Herkommunizieren wohl als pathologisch erachtet worden. Mittlerweile ist die Scham, die der Mensch bei Günther Anders vor den von ihm geschaffenen Maschinen empfindet, einem Symbiontentum gewichen. Der allgegenwärtige Umgang mit der Technik, schließt Turkle, wird zu einem Experiment "in dem wir selbst die Versuchskaninchen sind".

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