Netz-Depeschen:Herrschaftszeiten

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Kann es im Netz Raum für herrschaftsfreie Kommunikation geben? Die Hacker der Anonymous-Bewegung haben sich nun offenbar selbst gehackt. Vielleicht sollten sie Habermas zu Rate ziehen.

Michael Moorstedt

Ende 2010 traf die Gesellschaft auf eine Parallelwelt. In jener Welt versammelte sich die erste Generation, die nicht nur mit dem, sondern vor allem auch im Internet aufgewachsen ist. Eine Generation, die aufbegehrte. Sie nannte sich Anonymous. Und obwohl die Herren der analogen Ordnung sich gegenseitig versicherten, dass man diese Bewegung - die sich selbst nicht als solche bezeichnet - nicht ernst zu nehmen brauche, schwang in der letzten Zeit, wenn schon nicht Angst, dann zumindest Respekt mit. Zu potent zeigten sich die vermeintlichen Hacker.

Screenshot der von Anonymous gehackten IT-Sicherheitsfirma HBGeary Federal. (Foto: Screenshot)

Obwohl bei den Anonymous-Aktionen letztendlich wenig Schaden entstand - private Daten blieben bei den Visa- und Paypal-Hacks unbehelligt -, mussten sich auf einmal auch Geheimdienste und IT-Sicherheitsfirmen mit Anonymous beschäftigen. Viel konnte man aber nicht herausfinden. Zu chaotisch, zu fremd schien die Kommunikation der Web-Guerilla.

Und wenn, wie Aaron Barr, vormals Chef des IT-Dienstleisters HBGary Federal, einer behauptete, Einblick in das "Netzwerk" zu haben, amüsierten sich die Aktivisten kurz, bevor sie die Website des Betreffenden lahmlegten.

Die anarchische Kommunikation und allenfalls angedeutete Hierarchie war den Digital Immigrants nicht geheuer. Doch auch einige Anonymous-Alumni scheinen sich am Status Quo zu reiben. Ein ehemaliges Mitglied, das im internen Chat als "Ryan" firmiert, hat in der vergangenen Woche offenbar die Chat-Protokolle der letzten Tage und Wochen veröffentlicht. Die Hacker wurden gehackt. Und stehen nach Einsicht der Dokumente nicht unbedingt gut da.

Mithilfe eines Bot-Programms habe er sich die IP-Adressen und Passwörter der Netzwerkserver angeeignet und diese später mit Denial-of-Service-Attacken beschossen. Die Domains Anonops.ru und Anonops.net, auf denen Anonymous seine Aktionen koordiniert und bespricht, befänden sich unter seiner Kontrolle. In einer offiziellen Erklärung ist von einem "Staatsstreich" die Rede.

Die dezentrale, zensurfreie Struktur, die gerade eben noch der größte Vorteil im digitalen Räuber-und-Gendarm-Spiel war, gerät nun zu einem Problem. Auf der Website anonnews.org, die der Bewegung als offene Verlautbarungsplattform dient, mehren sich die unzufriedenen Stimmen.

Wie immer, wenn von Anonymous die Rede ist, gilt es Vorsicht zu wahren. Was hier wahr und falsch ist, ist kaum ersichtlich. So ließ sich ein Beteiligter anonym von Arstechnica zitieren, die Basisdemokratie sei nur vorgetäuscht gewesen. Schon immer habe es eine Aristokratenkaste gegeben, die über Weg und Ziel der Internet-Guerilla bestimmt habe. Das erscheint logisch, denn natürlich müssen auch Server bezahlt und Domains registriert werden. Diese primi inter pares bedienen sich Synonymen wie "shitstorm", "Nerdo" oder "Power2All".

Man kann diese Querelen als Machtkämpfe unter adoleszenzgeplagten Cyberkids abtun. Schließlich sind Drama und Rabaukentum wichtige Elemente im Anonymous-Milieu. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die Auseinandersetzung auf zukünftige Hacks haben wird.

Doch auch abseits der sehr realen Implikationen auf den Betrieb im Internet ist die Affäre ein interessantes Beispiel für die scheinbare Unmöglichkeit von herrschaftsfreier Kommunikation. Die wurde von Jürgen Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns schon lange Jahre vor der Geburt des Internet als Utopie beschrieben.

Zweifelhaft bleibt, ob sein Werk auch in Kreisen von Anonymous bekannt ist.

© SZ vom 16.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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