Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:Der Zensoren Busenkumpel

Auch Facebook feierte die königliche Hochzeit: Indem es die Seiten von regierungskritischen Gruppen löschte, die gegen Steuererleichterungen für Banker und Unternehmen in Großbritannien protestieren.

Michael Moorstedt

Bei Gustave Courbets "Der Ursprung der Welt" handelt es sich um einen recht expliziten und, nun ja, auf das Wesentliche reduzierten weiblichen Akt aus dem Jahr 1866. Schon damals sorgte das Gemälde für einen Skandal. Anfang April kam der Akt erneut in die Schlagzeilen - zwei Nutzer, die ihre Profile mit dem Bild ausgestattet hatten, wurden von Facebook gesperrt.

Die AGB des Netzwerks verbieten das Verbreiten von Nacktheit und Pornografie. Dass es sich bei den Protagonisten des Web 2.0 um eher kulturlose Gesellen handelt, vermutete das Establishment ja schon lange. Man reagierte daher eher ungläubig als empört. Die Kunstfreunde leisteten Abbitte, ihre Profile wurden wieder freigeschaltet. Im Zuckerberg-Reich werden Nacktheit und Pornografie großzügig interpretiert.

Unklar bleibt, nach welchen Kriterien Facebook vorgeht. Sie scheinen recht willkürlich zu sein. Eine weitere Löschaktion fand nun nicht im Namen der Sittlichkeit, sondern des Copyrights statt. Mitte vergangener Woche verschwanden auf einmal die Facebook-Seiten mehrerer Technologie-Blogs, darunter auch die des renommierten Ars Technica. Und das recht forsch, ohne Ermahnungen. Angeblich wegen zahlreicher Urheberrechtsverletzungen, dabei wurde nur eigener Content veröffentlicht.

Es scheint, als sei das Beschwerdesystem von Facebook nicht sonderlich gut durchdacht. Offensichtlich nehmen es die Herren des sozialen Netzwerks nicht so genau, wenn es darum geht, die Vorwürfe auf ihre Legitimität zu überprüfen. So berichtet readwriteweb, dass es nicht einmal nötig sei, eine gültige E-Mail-Adresse in dem Beschwerdeformular anzugeben. So gut wie jeder könne ihm unliebsame Nutzer oder Seiten sperren lassen.

Einen weiteren Fall einer solchen Überreaktion schilderte vor kurzem Jillian York, Mitarbeiterin des Blog-Netzwerks Global Voices. Zahlreiche Blogger aus Nordafrika und dem Nahen Osten berichteten ihr von der Löschung ihres Profils. Mit ein wenig Recherche fand York heraus, dass alle gesperrten Seiten regelmäßig islamkritische Artikel und Links publizierten. Sie vermutet nun, dass es schon ausreiche, wenn eine gewisse Anzahl von Beschwerden eingereicht werden, um das betreffende Profil automatisch zu deaktivieren.

Zudem hätten sich die Blogger unter Pseudonym angemeldet, um Repressalien zu vermeiden. Ein Verstoß gegen die AGB - Facebook möchte eigentlich nur Klarnamen in seinem System sehen.

Doch Technologie-Blogs und arabische Aktivisten waren nicht die einzigen, die sich vergangene Woche plötzlich ohne Repräsentanz im sozialen Netz wiederfanden. So feierte Facebook die königliche Hochzeit am Freitag, indem das Unternehmen die Seiten von fünfzig regierungskritischen Gruppen löschte, die gegen Steuererleichterungen für Banker und Unternehmen in Großbritannien protestieren.

Facebook ist eben trotz aller ägyptischen und tunesischen Revolutionen nicht per se eine Demokratie-Maschine zur Massenmobilisierung. Die Plattform ist ein postdemokratisches Gebilde. Verbittert zeigt sich der Autor und Blogger Cory Doctorow über die erneute Bestätigung dieser Erkenntnis und nannte Facebook "jedes Zensoren Busenkumpel".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1091784
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.05.2011/rus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.