Netz-Depeschen (87):Zuckerbrot für Downloader

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Die Schlacht um die Piratenbucht ist noch lange nicht geschlagen: Pirate-Bay-Gründer Gottfrid Svartholm geht ins Gefängnis, doch seine Seite bleibt.

Niklas Hofmann

Jemand muss Gottfrid Svartholm verleumdet haben. Denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, hat das Stockholmer Bezirksgericht den 24-Jährigen Mitgründer der Dateieninfo-Tauschbörse The Pirate Bay (thepiratebay.org) und seine drei Mitangeklagten zu einem Jahr Gefängnis und umgerechnet 2,75 Millionen Euro Geldstrafe verurteilt. Die Pose des Josef K. nimmt Svartholm selbst ein, wenn er mit dessen letzten Worten aus dem "Proceß" gegenüber dem US-Magazin Wired seine Verurteilung kommentiert: "Wie ein Hund."

Meuternde Dateientauscher: Anhänger der illegalen Fileshare-Seite Pirate Bay demonstrieren auf den Straßen von Stockholm. (Foto: Foto: Reuters)

Mit der unheimlichen Macht des Romans hat das Gericht in Wahrheit wenig Ähnlichkeit, das sich mit der juristischen Verantwortung der Männer hinter dem erfolgreichen sogenannten BitTorrent-Tracker auseinandersetzen musste. Und von Josef K.s bitterem Ende sind Svartholm und die anderen Piraten auch weit entfernt. Sie haben gegen den Stockholmer Spruch Berufung eingelegt und sind offenbar bereit bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen. Die Zugriffe auf ihre Seite sind nach dem Urteil weiter hoch. Die Piratenpartei, in Schweden so etwas wie der politische Arm der Dateientauscher, hat seit der Urteilsverkündung so viele Beitritte gezählt, dass ihre Jugendorganisation nun größer sein soll als die der Regierungs- und Oppositionsparteien des Landes. Und die schwedischen Internetprovider weigern sich vorläufig, Pirate Bay abzuschalten.

Die Schlacht um die Piratenbucht ist also längst noch nicht geschlagen, und doch scheint trotz des harten Urteils eines klar: Es bedeutet nicht die Zäsur, den Anfang vom Ende des Filesharings, den die Rechteinhaber sich vielleicht wünschten. Im Digital-Content-Blog des

Guardian (www.guardian.co.uk) wird von einem "Pyrrhus-Sieg" gesprochen. Auffallend ist auf jeden Fall, dass viele Beobachter den Pirate-Bay-Prozess unabhängig von seinem endgültigen Ausgang bereits allenfalls als retardierendes Moment abgehakt haben. Die Akteure und ihre Websites erscheinen ihnen austauschbar. Erick Schonfeld vom IT-Blog Techcrunch (www.techcrunch.com) weist etwa auf den Erfolg des niederländischen Bit-Torrent-Trackers Mininova hin, der auf ähnlich viele Torrents verweise und bereits jetzt mehr Besucher habe als The Pirate Bay. Wenn die Industrie wirklich etwas gegen den illegalen Dateientausch tun wolle, so sein Fazit, müsse sie im Rahmen ihrer Strategie von Zuckerbrot und Peitsche nun dringend beim Zuckerbrot legaler Downloadmöglichkeiten nachlegen.

Warum ihnen das nicht so leicht fällt, erklärt zum Beispiel der Kolumnist Farhad Manjoo. Er beschrieb jüngst im Internet-Magazin Slate (www.slate.com), wie sich die Hollywood-Studios durch die gewachsene (und nach wie vor lukrative) Verwertungskette von Kino, DVD-Verleih und Fernsehausstrahlung so gefesselt haben, dass ihnen nun die Entwicklung eines attraktiven allumfassenden Download- oder auch nur Streamingdienstes nach dem iTunes-Vorbild kaum möglich ist - obwohl sie dessen Notwendigkeit längst eingesehen hätten.

Sie aus dieser selbst verschuldeten Gefangenschaft zu befreien, das wiederum traut Eliot Van Buskirk bei Wired (blog.wired.com) nur ihren vermeintlichen Gegnern zu. Dienste wie Pirate Bay werden seiner Meinung nach die Zukunft von Musik- und Filmindustrie retten. Seit dem Aufkommen von Napster vor gut zehn Jahren sei sämtliche Innovation in den Vertriebswegen nur als Reaktion auf das illegale Treiben im Netz (und in seiner Nachahmung) entstanden. Mit anderen Worten geht der evolutionär notwendige Adaptionsdruck für die Kulturindustrie allein von den immer neuen Generationen der Piraten aus. "Klagen wie die gegen Pirate Bay haben oberflächlich gesehen ihren Sinn", folgert Van Buskirk, "sie sind andererseits aber auch eine merkwürdige Art Danke zu sagen."

Schwedens Nationales Wissenschafts- und Technikmuseum (www.tekniskamuseet.se) scheint das ähnlich zu sehen. Noch rechtzeitig vor dem Urteil von Stockholm hat es einen 2008 beschlagnahmten "Pirate-Bay"-Server zum Ausstellungsstück gemacht. Er symbolisiere schließlich "ein großes Problem", erklärte der Kurator, "und eine große Chance."

© SZ vom 20.4.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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