Netz-Depeschen (6):Mainstream-freie Zone: Musikblogs

Musik- oder Audioblogs sind private Homepages, auf denen Zeitgenossen den Lauf der Welt kommentieren. Audioblogs aber haben einen entscheidenden Mehrwert: Sie bieten online Musik. Ein persönliches Mixtape, liebevoll zusammengestellt und mit Kommentaren versehen.

Paul-Philipp Hanske

Angefangen hat alles Ende 2002 mit fluxblog, der Seite eines New Yorker Musikjournalisten. Und weil das auch anderen gefiel, luden sich bald Tausende die Songs herunter. Schnell entwickelte sich eine Szene, die heute so differenziert ist, dass jede Bewegung ihre Nische findet.

Es gibt unspezifische Seiten wie "Music Slut", die einfach anbieten, was dem Blogger über den Weg gelaufen ist, aber auch Seiten über italienische Horrorfilmsoundtracks. Passend zum Retro-Boom in der Dance Music sammeln unzählige Blogs alles, was tanzbar, hauptsächlich aber obskur ist.

Sie heißen "Lovefingers", "Dream Chimney" und "Alain Finkielkrautrock" und bieten feuchtwarme Cosmic-Disko, verkifften Krautrock sowie den einzigen guten Song auf ansonsten schrecklichen Weltmusikplatten der frühen Achtziger. Besonders aufwendig ist der Blog "Palms out Sounds", dessen Macher jede Woche alle Sample-Quellen einer Band offen legen.

Im Visier der Musikindustrie

Zweierlei aber haben die Musik-Blogs gemein: Sie meiden den Mainstream und erweitern den Horizont. In Tauschbörsen sucht man gezielt nach Songs, findet also nur das, was man ohnehin schon kennt. Die Hype Machine, die populärste Suchmaschine für Musikblogs, bringt das System mit ihrem Slogan auf den Punkt: "Find music you never knew you liked" - Entdecke Musik, von der du nicht wusstest, dass du sie magst.

Die Musikindustrie beobachtet das Treiben nach eigenem Bekunden "aufmerksam", schreitet aber nicht ein. Das meiste Material ist ohnehin von Independent-Labels - Klagen leisten sich aber meist nur die vier Majors. Und verglichen mit den Transaktionszahlen in Tauschbörsen sind die 50.000 Downloads pro Tag auf der Hype Machine ein Witz.

Tatsächlich aber ist mit den Suchmaschinen ein Instrument geschaffen, das Trends aufspürt. Die Hype Machine listet beispielsweise stündlich aktualisiert die Top 50 der Downloads auf. "Gnarls Barkleys" Hit des letzten Sommers, "Crazy", tauchte hier auf.

Und in diesem Steuerungspotenzial liegt vielleicht der Grund für die Gelassenheit der Musikindustrie. Euphorisch waren nämlich auch die Reaktionen auf eine andere Band, die 2004 in etlichen Audioblogs auftauchte: auf die texanischen Psychedelicrocker Secret Machines, die bei Warner unter Vertrag stehen. Die begeisterten Einträge kamen einigen Bloggern seltsam vor, so dass sie die Spuren verfolgten: Die meisten führten zu Warner.

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