"NeinQuarterly" auf Tournee:Narrenfreiheit als Arbeitsethos

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"Man muss nur Mut zum Löschen haben", sagt Eric Jarosinski alias NeinQuarterly.

(Foto: Daniel Roland/AFP)

Twitter als Beruf? Eric Jarosinski hat seinen Job als Assistenzprofessor für Germanistik hingeworfen und schreibt Aphorismen in Tweet-Form. Jetzt ist "NeinQuarterly" auf Europa-Tournee - und erzählt von einer Flucht in unsicheres Terrain.

Von Anna Steinbauer und Nicolas Freund

Wenn ihn wildfremde Deutsche anlächeln, findet Eric Jarosinski das noch immer etwas unheimlich. In letzter Zeit passiert das dem ehemaligen Germanistik-Professor der University of Pennsylvania öfter. Die meisten lächeln, weil sie ihn aus dem Internet kennen, wo er inzwischen eine kleine Berühmtheit geworden ist. Vor allem aber lächeln sie, weil sie ihn witzig finden. Eric Jarosinski, der durch seine Twitter-Persona "Nein Quarterly" bekannt geworden ist, befindet sich gerade auf der #FailedIntellectual Goodwill Tour 2014-15.

Eric Jarosinski ist kein Rockstar, seine Tour führt ihn trotzdem um den halben Globus durch Europa und die USA. Stadien füllt er nicht, dafür stehen Institutionen wie Stanford oder das Goethe-Institut auf der Liste seiner Gastgeber. In München sprach er am Max-Planck-Institut. Der Vortragssaal im zweiten Stock ist gut besucht. Die Moderatorin merkt kurz an, dass der Altersdurchschnitt wohl gut dreißig Jahre niedriger sein dürfte als sonst. Das heißt wohl so gegen Ende zwanzig, denn ganz jung sind die meisten, die sich für den twitternden Germanisten aus den USA interessieren, dann doch nicht mehr. Zwischen den Cordsakkos und zotteligen Haaren der Literatur-Doktoranden finden sich auch ein paar gefärbte Frisuren und Kapuzenpullover: Literaturstudent trifft Chaos Computer Club.

Aphorismen, Wortwitze und manchmal einfach nur Quatsch

Die Faszination für Eric Jarosinski alias Nein muss man vielleicht noch einmal kurz erklären: Seit zwei Jahren schreibt der Amerikaner keine wissenschaftlichen Aufsätze und Bücher mehr, sondern twittert mit seiner an Adorno angelehnten Persona "Nein Quarterly" über deutsch-amerikanische Klischees und akademischen Irrsinn. Aphoristische Weisheiten, Wortwitze über Dialektik und manchmal auch einfach Quatsch. Auf Twitter erreicht er damit gut 90 000 Follower. In der Zeit hat er inzwischen eine Kolumne, für die FAZ hat er auch schon geschrieben.

Seine Wissenschaftler-Karriere hat Jarosinski an den Nagel gehängt, sich dem Veröffentlichungsdruck des universitären Betriebs verweigert, den akademischen Habitus abgelegt, über den er sich jetzt so gerne lustig macht. Seine Twitter-Poesie ist Selbsthilfe und Flucht zugleich. "Mein Glück ist, dass die deutsche Presse das, was ich mache, als Kunst oder Philosophie verstanden hat", kokettiert der in New York lebende Ex-Assistenzprofessor. Dann lacht er wieder, wie er es oft tut, sodass man ihm das melancholische Wesen, das er zu sein behauptet, fast nicht abnimmt.

So ganz glauben kann Jarosinski es selbst noch nicht, dass er den Absprung aus dem Universitätskosmos gewagt hat. Noch fällt es ihm schwer, seine Twitter-Aktivität als ernsthafte Tätigkeit zu bezeichnen, "meine Arbeit, äh mein Tun", korrigiert er sich selbst. Die Narrenfreiheit hat er sich zum Leitethos erkoren, seine Arbeitsweise steht ganz im Gegensatz zur einstigen wissenschaftlichen Sorgfaltspflicht. "Meine Methode ist assoziativ, da kann auch mal was danebengehen. Man muss nur Mut zum Löschen haben, nichts ist für die Ewigkeit. Zum Glück", lacht der gescheiterte Akademiker.

Seine Tweets sollen bald als Buch erscheinen

Jarosinski bezeichnet seine Tweets als Gedankenattacken und kleine Störungen im Alltag. Twitter mache außerdem Utopien möglich, schwärmt er: Plötzlich diskutiert der Hipster aus Williamsburg mit dem argentinischen Politiker, und der Teenager in Kalifornien kommentiert das Ganze. Allerdings hat die Twitter-Aktivität auch ihren Preis: Mindestens eine Beziehung sei durch seine Schreibsucht in die Brüche gegangen, sagt Jarosinski. Und: "Mit meinem Rechner habe ich inzwischen nichts mehr zu tun." Die Angst vor dem leeren Blatt lähme ihn bei Twitter nicht, dort fülle sich die leere Fläche schneller.

So ganz abgeschlossen hat der Literaturwissenschaftler mit dem einstigen Buchprojekt allerdings doch noch nicht. Sein Forschungsthema - Transparenz als Metapher - will er noch mal aufrollen, allerdings unter der neu gewonnenen Perspektive und ohne Druck. Zunächst jedoch wird bald sein Buch "Nein. A Manifesto" erscheinen, eine Art Aphorismen-Sammlung aus seinen Tweets, schließlich muss man ja irgendwie sein Geld verdienen. Das Scheitern, es hat literarische Qualität.

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