Neil Young im Interview:"Der amerikanische Traum ist völlig verratzt"

Der Sänger Neil Young spricht über Autos, die nicht gebaut werden, Autos mit Persönlichkeit und den Unterschied zwischen Woodstock und Farm Aid.

Interview: Willi Winkler

Das Carlyle zeigt einen leicht abblätternden Charme, der für ein New Yorker Hotel eher ungewöhnlich ist. Die Gäste sind gern berühmt, oft schon älter und wollen zumeist erkannt werden. Mick Jagger hetzt durch die Lobby. Ein Musiker wartet mit einem Gitarrenkoffer. Plötzlich erscheint Neil Young, erstaunlich krumm, aber im vertrauten Holzfällerhemd. Er signiert die Gitarre für einen guten Zweck, dann beginnt das Interview, und, hört!, hört!, der Mann redet wirklich gern.

Neil Young im Interview: Neil Young im August 2005 in Nashville, Tennessee.

Neil Young im August 2005 in Nashville, Tennessee.

(Foto: Foto: ap)

SZ: Mr. Young, Sie haben mal gesagt, alle Ihre Platten seien Kapitel einer Autobiographie. Bei welchem Kapitel stehen Sie gerade?

Neil Young: Keine Ahnung, ich habe den Überblick verloren. Das ist wohl das letzte Kapitel.

SZ: Das letzte?

Young: Jedenfalls vorläufig.

SZ: Voriges Jahr ging es Ihnen sehr schlecht. Sie hatten eine Hirnblutung.

Young: Nicht das Aneurysma war gefährlich, sondern die Komplikationen danach. Die Operation verlief erfolgreich, aber dann glaubte ich, ich müsste sterben.

SZ: Sie dachten, es wäre vorbei?

Young: Ich hatte so schnell so viel Blut verloren, dass ich meinte, jetzt geht es zu Ende.

SZ: Das Blut kam aus der Kopfwunde?

Young: Nein, es kam aus dem Bein, hier! Um mich zu operieren, mussten sie durch mein Bein in den Kopf. Als ich dann auf der Straße stand, ist die Hauptschlagader geplatzt.

SZ: Hier in New York?

Young: Es war hier in diesem Hotel, gleich da vorn. Ich wollte ein paar Schritte tun, ging einen halben Block, kam zurück und konnte vor der Tür schon nicht mehr aufrecht stehen. Es war ganz furchtbar. Sie holten einen Unfallwagen. Ich stand unter Schock, ich zitterte, schaute an die Decke, die Leute schauten auf mich herunter, ich hörte Tunnelgeräusche.

SZ: Und Sie dachten...

Young: Ich dachte, jetzt ist es aus, ja. Aber es war nicht aus, weil mir Profis halfen und mich gerettet haben.

SZ: Waren Sie bewusstlos?

Young: Ich war knapp davor. Ich lag auf dem Rücken, die Beine in der Luft, die Hand auf der Wunde, um das Bluten zu stoppen. Sie spritzten mir Wasser rein, weil ich so viel Blut verloren hatte.

SZ: Auf dem Land hätten Sie nicht überlebt.

Young: Ich hätte es einen halben Block vom Hotel nicht überlebt. Es war eine lebensverändernde Erfahrung. Mehr kann ich nicht dazu sagen.

SZ: Gelobt man sich dann, von jetzt an nur mehr ernsthafte Dinge zu tun?

Young: Es muss nicht ernsthaft sein, sondern einfach nur das, was man tun will. Man wird sich nicht mehr um das kümmern, was andere sagen. Ich weiß, was ich kann und was ich gut kann und will nichts anderes machen.

SZ: Sie mussten sich also nicht groß ändern.

Young: Ich bin nur entschlossener denn je.

SZ: Sie sind gerade bei Farm Aid aufgetreten. Sie haben selber eine Farm und leben in Kalifornien. Wie fühlt man sich als Cowboy in New York?

Young: Ich liebe New York. Es ist voller Menschen.

SZ: Sind Sie nicht der eingefleischte Kalifornier?

Young: Ich stamme aus Kanada, mir ist der Gegensatz zwischen Ostküste und Westküste egal. Ich bin in der Prärie aufgewachsen, ich mag Menschen, bin aber auch gern für mich allein.

SZ: Ich hätte vermutet, Sie träumten nostalgisch von einem kleinstädtischen Amerika mit einer Hauptstraße und einem rotgeklinkerten Spritzenhaus.

Young: Das gefällt mir, und so bin ich auch aufgewachsen.

SZ: Ihr neues Album heißt ,,Chrome DreamsII'', Sie sammeln selber alte Autos. Haben Sie den Zeichentrickfilm ,,Cars'' gesehen?

Young: Klar.

Auf der nächsten Seite denkt Neil Young an den Lincoln und eine spirituelle Reise.

"Der amerikanische Traum ist völlig verratzt"

SZ: Glauben Sie nicht auch, dass diese Autos die besseren Menschen sind?

Young: Es sind tolle Autos, ich liebe sie.

SZ: Aber der Film zeigt, wie die Autoindustrie das Land zerstört.

Young: Die amerikanischen Autos sind doch ein Witz! Die Autos hier sind mindestens zehn Jahre zu spät dran. Die Industrie muss aufwachen, es ist höchste Zeit.

SZ: Was sind die besseren Autos?

Young: Das sind die sparsamen Autos. Die besten sind die Autos, die nicht gebaut werden.

SZ: Aber Sie brauchen doch auch ein Auto.

Young: Die allerbesten Autos sind die, die wir haben sollten, die nächste Generation. In diesem Land wird sehr viel Kraft und sehr viel Energie verschwendet. Davon wird mein nächster Film handeln.

SZ: Sie drehen einen Öko-Film?

Young: Eine Dokumentation über ein Auto. Der Film handelt von einem '58er Lincoln und beginnt in meinem vermüllten Hinterhof, wo die Autos stehen. Auch der Lincoln steht, er fährt nicht. Dann kommt ein anderer Lincoln, drei Jahre jünger, er läuft, aber nicht sehr gut. Er ist sehr groß und sehr schwer, braucht deshalb zu viel Benzin, er verschwendet es. Der Film sagt einem, wie man ein Auto baut, das nicht mehr verschwenderisch mit den Ressourcen umgeht. Das Auto braucht also eine Energie, die nicht verschwendet wird, die demnach auch keine Schadstoffe produziert.

SZ: Jetzt bin ich aber gespannt, wie Sie das machen wollen.

Young: Wir haben in den USA dieses riesige Stromnetz, das darauf eingestellt ist, das Land in der dunkelsten Stunde ebenso gut zu bedienen wie in den hellen Stunden. Der maximale Stromverbrauch wird zwischen zwei und drei Uhr nachmittags registriert. Danach schwächt er sich ab, weil die Leute aus den Büros nach Hause gehen. Obwohl wir diese riesige Energie gar nicht immer brauchen, wird sie die ganze Nacht erzeugt und gleichzeitig verschwendet. Das ist wie bei den Niagara-Fällen: Das Wasser läuft immer, aber man kann es nicht nutzen. Oder wie die Atomenergie, die man auch nicht abdrehen kann. Tagsüber nutzen wir die Energie, und nachts verschwenden wir sie. Die neuen Autos, die Autos der Zukunft, werden in der Nacht kostenlos aufgeladen, so dass man tagsüber damit herumfahren kann. Diese Autos befördern dann selber Energie. Wenn man sie anschließt, können sie jederzeit wieder Energie ins Stromnetz einspeisen.

SZ: Ist das Ihre Phantasie?

Young: Das ist die Realität.

SZ: Denken Sie an einen Lehrfilm?

Young: Ich denke an den Lincoln. Der Lincoln ist alt, bewährt, ein schönes Auto. Man kann das Verdeck zurückfahren, sodass es im Kofferraum verschwindet, das Rückfenster ist versenkbar. Es ist ein richtig verrücktes Auto. Ich fahre damit nach Wichita in Kansas, wo es von einem Mechaniker umgebaut wird, der auf alternative Energiequellen spezialisiert ist. Danach wird es viel, viel, viel stärker sein als bisher. Mit einer Nachladung pro Nacht wird es einen Aktionsradius von 100 bis 150 Meilen erreichen. Außerdem wird es über einen Generator verfügen.

SZ: Das heißt?

Young: Das heißt, dass man auch Biodiesel einfüllen kann, wenn man unterwegs mehr braucht. Aus dem alten Lincoln wird also ein hochmodernes Auto, das mit verschwendeter Energie und ohne Schadstoffe betrieben wird. Ich werde mit dem Auto überall herumfahren und damit Leute mitnehmen.

SZ: Anhalter?

Young: Wir werden unterwegs Leute mitnehmen, sie im Auto interviewen, sie wieder rauslassen, neue einladen. Oder an Tankstellen halten und auch dort die Leute befragen.

SZ: Ein echtes Roadmovie.

Young: Es wird eine spirituelle Reise. Ich weiß noch wenig. Wir werden viel erst beim Drehen herausfinden. Das Auto fährt überall hin und es wird, egal, wo es auftaucht, immer die Sensation sein. Das Auto steht für etwas Altes und für etwas Neues. Am Ende werden wir es in die Fabrik zurückbringen, in der es einst hergestellt wurde.

SZ: Damit wäre dann das ganze Land ein Fließband, und am Ende liefern Sie das Auto als Prototyp in der Fabrik ab.

Young: Ja, das Auto ist eine gigantische Metapher. Dieses Auto wird eine Persönlichkeit haben, man wird Fragen an das Auto richten können, während es herumfährt.

SZ: Wird es auch antworten?

Young: Vielleicht, vielleicht auch nicht, vielleicht nur durch den Ausdruck.

(Das Interview muss unterbrochen werden. Neil Young spricht mit dem Gouverneur von New York, der anruft, um sich für Youngs Teilnahme an Farm Aid zu bedanken.)

SZ: Wir waren bei Ihrem Auto-Film. Wird das ein Michael-Moore-Film, so was wie "Roger & Me"?

Young: Sicherlich so ähnlich. Ich werde in dem Film viel reden.

SZ: Auch mit den Managern?

Young: Das möchte ich unbedingt. Wir fahren nach Houston, in die Welthauptstadt des Öls, und nach Detroit, die Auto-Hauptstadt. Ich mag die großen amerikanischen Autos, ich mag die Straßen, ich glaube an den amerikanischen Traum, aber er ist völlig verratzt, er geht zum Teufel, er stirbt und zwar direkt vor unseren Augen. Wir nehmen also dieses Symbol, geben ihm ein neues Herz, geben ihm neue Kraft, bringen es dorthin, wo es hergekommen ist, fahren damit durch das Land, um den Leuten zu zeigen, wie weit es gekommen ist und wie es weitergehen kann.

SZ: Sie reden wie ein Pionier. Wären Sie in einer anderen Zeit gern jemand wie Daniel Boone gewesen, der große amerikanische Trapper?

Young: Wahrscheinlich.

SZ: Sie klingen wie ein Abenteurer, der in eine Zukunft aufbricht, die aber Vergangenheit ist.

Young: Man muss zurückgreifen, um an die Wurzeln des Problems zu gelangen und es für die Zukunft zu lösen; eine Hand gewissermaßen vorn und eine hinten. Ich bringe meinen alten Lincoln deshalb auch zu Google.

SZ: Warum das denn?

Young: Ich gehe zu Google und zeige denen mein Auto. Diese Firma schaut nach vorn, denkt an morgen. Mit solchen Leuten möchte ich reden.

SZ: Schon Apple ist aus der Hippie-Gegenkultur entstanden. Ist das mit Ihrem Auto auch ein Ergebnis der Sechziger?

Young: Es hat alles miteinander zu tun, und natürlich ist dieses Projekt eine Fortsetzung der Gegenkultur. Viele dieser jungen Internet-Unternehmer bringen Amerika eine schöne neue Welt.

Auf der nächsten Seite findet Neil Young Arnold Schwarzenegger interessant.

"Der amerikanische Traum ist völlig verratzt"

SZ: Sie meinen das nicht negativ wie Aldous Huxley?

Young: Nein, denn sie haben Visionen. Die neuen Ideen kommen nicht vom alten industriellen Komplex, sondern aus dem Internet. In den letzten Monaten habe ich Leute kennengelernt, die auf verschiedenen Ebenen in der Internetwelt arbeiten. Diese Leute sind die wahren Denker von heute. Sie haben die Macht und auch den Kopf dafür. Sie sind erfolgreich, weil sie den anderen das Leben leichter machen: weil man durch sie leichter an Informationen kommt, damit leichter lebt, das Richtige tut.

SZ: Meinen Sie wirklich?

Young: Ich habe eben mit Eliot Spitzer telefoniert, dem Gouverneur von New York. Zuvor hatte ich, um mich vorzubereiten, seinen Namen im Internet nachgeschaut. Ich wollte ihn googeln und gab dazu ,,wife'' ein, um auch den Namen seiner Ehefrau zu finden. Der Computer ging dann zwar nicht, aber das ist ein Beispiel, wie man mit Hilfe des Computers mit Menschen in Verbindung treten kann. Wenn man sich zum Beispiel an die Ehefrau erinnert, ist man beim Gegenüber im Vorteil; das kommt an mit dem Namen. Was das Werkzeug betrifft, so war das für mich eine verpasste Gelegenheit, aber man muss den Ball im Spiel halten.

SZ: Ihr großes Abenteuer im vergangen Jahr war die Bewegung ,,Impeach Bush!''

(Er lacht.)

SZ: Bush hat sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen, er ist immer noch im Amt.

Young: Aber nicht mehr lange. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Mit der Anklage wird es wahrscheinlich nicht klappen, aber die Botschaft ist klar.

SZ: Kann es sein, dass Sie von der großen Politik enttäuscht sind und sich mehr um die Basisarbeit kümmern wollen?

Young: Wenn man einen Wechsel will, muss man sich selber drum kümmern. Man muss die Mittel nutzen, die einem zur Verfügung stehen. Auf die Politiker ist kein Verlass, aber vielleicht bringt man einen dazu, dass er mitmacht. Der Gouverneur von New York ist ein gutes Beispiel dafür, weil er an solche Projekte glaubt.

SZ: Auch Ihr Gouverneur zu Hause ist ein gutes Beispiel. Arnold Schwarzenegger hat die Autokonzerne verklagt. Er fährt einen Hummer und klagt gegen die Hersteller wegen der Schadstoffproduktion.

Young: Schwarzenegger hat einen Biodiesel-Hummer und einen mit Wasserkraftstoff. Die Leute, die mein Auto umbauen, haben auch einen seiner Hummer umgerüstet.

SZ: Neil Young und Arnold Schwarzenegger, was für eine Allianz! Haben Sie den Gouverneur je getroffen?

Young: Nein, ich bin ihm bisher nicht begegnet, aber ich würde ihn gern kennenlernen. Ich finde ihn interessant. Er denkt nach vorn, was recht ungewöhnlich ist, insbesondere für einen Republikaner.

SZ: Er ist herumgekommen, hat Rauschgift genommen, die Frauen gern geküsst.

Young: Er hat Erfahrungen gesammelt.

SZ: Er scheint auch komisch sein zu können.

Young: Ja, er macht sich über sich selber und andere lustig.

SZ: Am besten gefällt mir, dass er sich hin und wieder in ein Zelt vor dem Gouverneurspalast setzt, um dort eine Havanna zu rauchen.

Young: Er ist ein guter Mann.

SZ: Es gibt einen schönen Satz von Mark Twain: "Manchmal frage ich mich, ob die Welt von klugen Menschen regiert wird, die uns zum Narren halten oder von Schwachköpfen, die es ernst meinen."

(Er lacht.)

Young: Mark Twain war ein Genie.

SZ: Aber wie sehen Sie es - sind es Schwachköpfe oder Gauner?

Young: Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht. Ich wünsche mir, dass unter den Regierenden wenigstens ein paar sind, die sich um etwas kümmern und auch etwas zustande bringen. Allein, dass ich mit einem Gouverneur über eine Sache reden kann, die viel Aufwand und Zeit erfordert.

SZ: Worum geht es dabei?

Young: Wir planen eine Farm-Aid-Woche. In New York sollen eine Woche lang Lebensmittel aus ökologischem Anbau angeboten werden. Wir werden alle Restaurants bezeichnen, in denen Essen aus nachhaltigem Anbau serviert wird, dazu die Läden, in denen es Lebensmittel aus nachhaltiger Produktion gibt. Wir werden zeigen, wo es gesundes und wo es schlechtes Essen gibt. Safeway hat einen vertrauenserweckenden Namen, aber dort gibt es keine gescheiten Lebensmittel. Warum essen die Leute dieses Zeug, wenn sie etwas Gutes haben können?

SZ: Weil es im Supermarkt billiger ist.

Young: Aber das stimmt nicht, jedenfalls nicht hier. Wir verkaufen anderen Ländern unsere Nahrungsmittel, um ihre eigene Produktion zu zerstören.

SZ: Sie waren 1969 dabei und sind es jetzt wieder: Was ist der Unterschied zwischen Woodstock und Farm Aid?

Young: Bei Farm Aid geht es darum, anderen zu helfen, sie zu erziehen, sie aufzuklären.

SZ: Über was?

Young: Darüber, wie das Agrobusiness die Familienfarmen übernimmt, und wo man trotzdem noch gute Lebensmittel bekommen kann. Wall Street und die Börse in Chicago denken nicht an die Qualität des Essens, sondern nur an den Gewinn, der sich damit erzielen lässt. Farm Aid ist unser Auftrag, während Woodstock keinen Auftrag hatte.

SZ: Aber es war lustig für die, die daran teilnahmen.

Young: Das stimmt für die meisten. Es war ein Kulturereignis, und wir merkten es nicht einmal.

SZ: Warum wollten Sie damals nicht gefilmt werden?

Young: Damals dachte ich, dass Musik nicht Teil der Unterhaltung sein dürfe. Ich wollte nicht in die Tonight Show, ich wollte nicht diese ganzen Leute auf der Bühne haben, die Kameras, das furchtbare Brimborium. Ich dachte, Musik, das sind nur wir und das Publikum, und wir dürften uns dem Establishment nicht ausliefern und verkaufen. Aber stattdessen hat das Establishment uns gekauft, sodass wir zu diesem riesenhaften Business geworden sind.

SZ: Lustigerweise bricht die Musikindustrie gerade mit lautem Getöse zusammen.

Young: Recht geschieht es ihr, zusammenbrechen soll sie! Die Musikindustrie ist aufgebläht und eingebildet, sie muss sich endlich mit der Wirklichkeit anfreunden.

SZ: Prince hat von seiner letzten Platte drei Millionen Exemplare verschenkt. Anschließend spielte er zwei Wochen vor ausverkauftem Haus in London.

Young: Ich weiß nicht, ich mache immer noch lieber meine Platten.

SZ: Die letzte haben Sie aber auch verschenkt, "Living with War" wurde übers Internet versendet.

Young: Die Leute konnten es hören, aber wenn man Qualität haben will, muss man es schon kaufen. Internet ist das moderne Transistorradio. Die Leute laden ihre Musik herunter, sie fertigen billige Kopien an, sie tauschen, verkaufen, vertreiben die Musik.

SZ: Bevor Sie mich rauswerfen, noch eine ernsthafte Frage: Bedauern Sie irgendwas in Ihrem Leben?

Young: Ich hab' manche dummen Sachen gemacht, aber warum sollte ich sie bedauern? Wenn man Entscheidungen trifft, macht man auch Fehler. Es ist nicht gesund, sich ewig bei seinem Versagen aufzuhalten. Statt das lang und breit zu bedauern, schaue ich nach vorn und versuche, das Richtige zu tun. Man muss akzeptieren, dass man nicht perfekt ist. Ich halte es mit Edith Piaf: ,,Je ne regrette rien.''

Neil Young, 1945 in Ontario geboren, trat 1969 mit Crosby, Stills & Nash in Woodstock auf, verstand es aber, sich der Musikindustrie immer wieder zu entziehen. Als er mit ,,Harvest'' und vor allem der Single ,,Heart of Gold'' sogar in die Hitparaden kam, produzierte er wie absichtlich ein Fiasko nach dem anderen. Wegen seiner kompromisslosen Haltung, mit der sich eine zeitweilige Parteinahme für Ronald Reagan ohne weiteres vereinbaren ließ, wurde er zum Stammvater der Grunge-Musiker. Young trat in verschiedenen Filmen auf und dreht seit mehreren Jahren selber welche. In der kommenden Woche erscheint die Platte ,,Chrome DreamsII'', auf der er das viel beraunte, achtzehn Minuten lange Stück ,,Ordinary People'' zum ersten Mal veröffentlicht, eine wütende Anklage an die arbeitsplatzvernichtende Großindustrie. Im Moment befindet sich Neil Young auf einer ausgedehnten Tournee durch Nordamerika.

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