Neil Young auf Europa-Tournee:Holzfällerhemd, gebügelt

Der Öko-Prediger Neil Young macht auf seiner Europa-Tournee Station in Oslo.

WILLI WINKLER

Pünktlich ist er und sagt artig Guten Abend, und dass er sich freue, hier zu sein. Höflicher Beifall. Das Hier ist Oslo, die zweite Station auf Neil Youngs Solo-Tour durch Europa. Mit ihm ist der Frühling in die Stadt gekommen. Nur ein schmutziger Schneerest liegt noch auf der Festung über dem Hafen, wo die Angestellten in der Sonne eingeschlafen sind. Die Osloerinnen flanieren so bauchfrei und bauchspeckig wie auch weiter im Süden, die Männer fahren in ähnlich vorteilhaften kurzen Hosen Rad, die Rocker sind zu einer eindrucksvollen Präsentation neben ihren Motorrädern angetreten. Neil Young würde gut zu ihnen passen, weltweise und weltgeschmerzt, wie er sein kann, und immer auf der Suche nach dem Herz aus purem Gold.

Neil Young auf Europa-Tournee: Da werden Merksätze eingebläut und naturbelassene Parolen, dass selbst dem eingefleischten Öko-Pax ästhetische Bedenken kommen.

Da werden Merksätze eingebläut und naturbelassene Parolen, dass selbst dem eingefleischten Öko-Pax ästhetische Bedenken kommen.

(Foto: / SZ v. 25.04.2003)

Er sucht weiter.

Im Holzfällerhemd, mit verwaschener Jeans, leicht gebeugt kommt er auf die Bühne, wo ihm drei Gitarren, eine Mundharmonika mit Halter, ein paar Mikros, ein Harmonium und drei, vier dicke Wallfahrerkerzen Gesellschaft leisten werden. Über einer Box aus dem Nachlass einer mythischen Band namens CSN & Y ist eine Flüstertüte montiert. Dann verspricht er eine Reise, und bei diesem Reizwort schlägt der Pawlow im Konzertbesucher an. Jubel, Jauchz, der Young ist da. Neil Young, der am härtesten arbeitende Rockmusiker, grinst und schüttelt die aus den Siebzigern übrig gebliebenen Haare. Ein "trip", aber was für einer.

Das Publikum weiß bloß, dass er diesmal allein unterwegs ist, ohne Band, nein, auch Crazy Horse ist nicht dabei, es ist nur der Junge mit der Mundharmonika plus Gitarre. Der Erzähler raunt ein paar Worte, schrammschrummt seine schleppenden Akkorde über die Gitarre, erläutert wieder und droht: "Es geht heute Abend an Orte, von denen ihr nicht mal wusstet, dass es sie gibt. Aber keine Angst", setzt er hinzu, "es kann euch nichts passieren, ich bin bei euch."

Und der Sänger erzählt von Greendale, einer nicht ganz erfundenen Gemeinde in Kalifornien, erzählt von tapferen Amerikanern, und wie die Welt über sie hereinbricht. Greendale ist ein Familienroman, gestückelt in Balladen, Bilder, einzelne Zeilen. Immer wieder setzt er ab, fängt neu an. Jeb, einer aus der Familie Green, hat zugekokst einen Polizisten erschossen, "die Medien" fallen über die Familie her, eine Korrespondentin geht auf den sympathisch trotteligen und wertkonservativen Großvater zu, der mit seinem Gewehr in die Luft schießt und dann vor der Kamera stirbt: "Er kämpfte für das Recht auf Schweigen."

Jetzt kommt die schöne Enkelin zu Bewusstsein. Sun Green heißt sie, und nun wird sie zur Öko-Terroristin, kettet sich ans Wahrzeichen eines Energiekonzerns, der zugleich der Nationalvogel ist, an den Weißkopf-Seeadler, und zieht nach Schikanen des FBI zusammen mit einem Mann namens Earth Brown nach Alaska, wo nach einem Beschluss des US-Kongresses in den Naturschutzgebieten nach Öl gebohrt werden soll. Doch Sun Green ist da, die "Göttin im Kampf um den Planeten", und alles, alles wird gut.

Geduldig hören sich die 1500 Besucher im "Konserthus" in Oslo an, wie der lagerfeurige Sehnsuchtssänger eineinhalb Stunden lang ein Lehrgedicht zur Gitarre vorträgt. Moritatenhaft bänkelt er von "Religionskriegen" und staatlicher Totalüberwachung, von der guten alten Zeit, und dass es ohne Liebe doch nicht gehe. Das lappt dann bedenklich vom ironisch klampfenden frühen Brecht hinüber zu den Arbeiterchören des mittleren, da werden Merksätze eingebläut ("Herr Saubermann ist jetzt auch schmutzig") und naturbelassene Parolen - "Du musst der Regen sein" - ausgegeben, dass selbst dem eingefleischten Öko-Pax ästhetische Bedenken kommen.

Ganz allein auf der Bühne ist der Prediger doch nicht. Unvermutet beginnt der kleine blecherne Geselle auf der Box zu rucken und zu drehen. Als Young die Megaphonsprüche von Sun Green verkündet, die die Öko-Kriegerin auf die Medien, die Energiekonzerne, die Regierung und alle Umweltfeinde loslässt, findet der Blechmann seine Rolle, dann ist er wie die Puppe, die ein Bauchreder mit sich führt. Für den Sänger ist dieses billige Megaphon "wie eine Band", ein Freund, der seine manchmal schlichte Botschaft ein bisschen ironisiert.

Doch will der Sänger das alles sehr ernst genommen haben. Er nennt sich "illiterat", liest angeblich keine Bücher, sieht keine Filme, hört keine Musik, kennt Naomi Klein nicht, dafür aber seinen Feind. Der Feind, das sind die Konzerne, die Ölindustrie, die Politik, die deren Natur- und Menschenausbeutungseifer auch noch unterstützt. Der Feind, das sind Bush und seine Leute. Neil Young bestätigt, dass ihn seine Kinder an dieses Thema herangeführt haben, dass sie ihn zum Globalisierungsfeind gemacht haben. In den frühesten Siebzigern forderte die Band Crosby, Stills & Nash die Kinder auf, ihre Eltern richtig zu erziehen, und offenbar ist dieses hippieske Gebet mit einiger Verspätung erhöht worden.

Vielleicht aber ist Neil Young nach seinen Abenteuern und Stilwechseln, nach all den Katastrophen und Triumphen wieder (Entschuldigung:) jung geworden. Wie ein Kind freut er sich über den Bus aus Pappe, der in seinem Film "Greendale" durch die Szene getragen wird, über einen professionellen Schauspieler, der nur einen Satz spricht (die anderen sind Laien), über die Figuren, die er erfunden und mit Leben erfüllt hat und die jetzt eine Art Neil- Young-Karaoke mit seinen Liedern spielen. "Greendale" ist seine Geschichte, und ob ihm das Publikum folgt, ist ihm angeblich egal.

Im August beim Filmfestival in Telluride wird dieser Film zur CD Premiere haben. Er ist sein Werk - und hat nicht auch sein Vater Romane geschrieben? Der Sohn hat "Greendale" geschrieben, die Songs aufgenommen, den Film gedreht, geschnitten, produziert, ein "Roman in Songs", ein Album mit Botschaft und das befremdlichste und ungewöhnlichste überhaupt: politische Kunst. Neil Young, hauptberuflicher Hippie, deshalb zeitweise Reagan-Anhänger und Autor des holzhackerpatriotischen Kampflieds "Let's Roll", steht vor einem grandiosen Comeback als Lead-Sänger der Globalisierungsgegner.

Nach einer kurzen Pause kommt er zurück auf die Bühne. In der Hand hält er einen Becher Tee; das Beutelfähnchen hängt noch heraus. Jetzt spielt er seine Gassenhauer. Jeder einzelne wird stürmisch begrüßt, das ist sein Zugeständnis an die Fans, die er so lange mit seiner Botschaft und seinen unbekannten Songs beansprucht hat. Aber, siehe da, er hat es ja immer gesagt, die 70er Jahre, die er in dem Stück "After the Goldrush" anspricht, hat er passend gemacht, das Lied passt zum neuesten Young: "Look at mother nature on the run/in the 21st century": Schaut auf Mutter Natur unterwegs/ins 21. Jahrhundert.

Der Mann im Holzfällerhemd wird zum König im Kampf um den Planeten. Es kann nichts passieren, Neil Young ist ja bei euch.

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