Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Ned Beatty:Held der zweiten Hollywoodreihe

Zum Tod des amerikanischen Schauspielers Ned Beatty, der in unzähligen Nebenrollen unverzichtbar war.

Von Tobias Kniebe

Er war der joviale Kollege und beste Freund, der jede Geschichte in der Wirklichkeit verankern konnte, Spielball höherer und nicht immer freundlicher Mächte wie alle anderen auch. Und er war der Everyman, der zum Chef aufgestiegen war, Herrscher über unzählige Polizeistationen und andere Zentren der Autorität, machtbewusst, füllig, schwitzend, manchmal rau und gutherzig rackernd, manchmal böse, korrupt, rassistisch, brandgefährlich hinter listigen kleinen Augen.

Den Namen Ned Beatty, nicht verwandt mit dem so viel fotogeneren und strahlenderen Warren Beatty, haben sich normale Zuschauer selten gemerkt. Er war verlässlich, immer präsent, meist aber in der zweiten Reihe, überall gern gesehen, er gehörte fast zum Inventar. Sein Gesicht kennt deshalb in seiner Generation beinah jeder, so viele amerikanische Filme und Serien der Siebziger- bis Neunzigerjahre wären unvollständig ohne ihn. Jetzt ist er im Alter von 83 Jahren in Los Angeles gestorben.

Die großen und unauslöschlichen Kino-Momente, die hatte er allerdings auch. Besonders unvergesslich etwa in "Network" aus dem Jahr 1976, da war er für den Oscar nominiert. Eine grelle Satire aus der Fernsehwelt, in der der Autor Paddy Chayefsky die Weltherrschaft der globalen Kapital-Konglomerate und ihrer Medienbüttel ankündigte und zugleich im prophetischen Furor allen künftigen Irrsinn schon vorwegnahm.

Darin bekommt der psychisch nicht mehr stabile Fernsehmann Peter Finch, durch wilde Live-Tiraden zum König der Einschaltquoten aufgestiegen, Besuch von seinem Corporate Overlord, gespielt von Ned Beatty. Der hält ihm eine Rede zu den wahren Verhältnissen hinter der Fassade, vollkommen over the top. Das ist mehr als eine flammende Predigt, das ist beinah der Auftritt einer Gottvaterfigur auf dem Berg Sinai des gescheffelten Mammon. Ned Beatty darf da allen Theaterdonner entfesseln, zu dem er fähig ist, der Regisseur Sidney Lumet hält die Kamera auffällig weit weg, sie bleibt auf Bühnendistanz, und das Ergebnis ist einfach großartig.

Auf der Bühne und am Theater hat Beatty begonnen, zunächst als begabter Sänger, dann auch am Broadway, gefeiert etwa als Arthur Millers "Handlungsreisender". Er wurde 1937 in Kentucky geboren, die trägen Kadenzen des Südens prägten seine Sprache in vielen Rollen. Eine Exkursion in den Süden, in die grausame Wildnis des Appalachen-Gebirges, war dann auch sein Filmdebüt, ein echter Hit, mit dem er sich 1972 gleich im Gedächtnis der Nation einprägte. "Deliverance / Beim Sterben ist jeder der Erste" von John Boorman hieß der Film, vier Durchschnittsamerikaner auf Kanutrip in die Einsamkeit fallen zwei mörderischen Sadisten aus den Hinterwäldern in die Hände, und Beattys harmlos-sanfte Figur ist es, die dann brutal vergewaltigt wird.

"Quiek wie ein Schwein" hieß die Anweisung der Täter, die dann im ganzen Land widerhallte, eine Erinnerung an die eigene Verletzlichkeit, die Männer nicht hören wollen, bis heute nicht und damals schon gleich gar nicht. Was für ein Mut dazu gehörte, sich diese Figur zu eigen zu machen, noch Jahre und Jahrzehnte später damit aufgezogen und von Idioten verlacht zu werden, ist kaum zu ermessen. Eine wahre Pioniertat, ein Zulassen lange panisch unterdrückter Perspektiven. Beatty hat die Folgen mit Würde getragen. Immerhin lernte er am Set seine zweite Frau kennen, und in vier Ehen mit insgesamt acht Kindern setzte er dann sein eigenes erfülltes Leben gegen die emotionale Bürde dieses Debüts.

Viele weitere Rollen sind zu nennen: Sein Anwalt in Robert Altmans großem Ensemblestück "Nashville" (1975) zum Beispiel, wo er in wenigen Szenen ein Porträt bürgerlicher Empathielosigkeit und Verzweiflung skizziert, sein Watergate-Ermittler in "Die Unbestechlichen / All the President's Men" (1976), sein Priester in den ersten beiden "Exorzisten"-Filmen und sein kurzsichtiger Gehilfe des Bösen in "Superman" (1978). Ganz groß heraus kam er noch einmal im Jahr 1991, als sich der junge englische Regisseur Peter Chelsom auf seine Ausbildung als Sänger besann und ihn nach Irland entführte, weit weg von seinen sonstigen Revieren, wo er als vergessener Star-Tenor Josef Locke wiederentdeckt wird und im Finale einmal wirklich strahlend im Mittelpunkt steht.

Mehr als 160 Filme sind es am Ende geworden, die Ned Beatty gedreht hat. Und auch wenn sich der Name dabei nicht in jedem Kleinhirn festgesetzt hat, so ist doch gerade im Rückblick auf so ein erfülltes Arbeitsleben zu spüren, wie sehr der Mann geliebt wurde und wie viel das in der Summe bedeutet: Als Mitspieler über Jahrzehnte so vertraut zu werden, so viele Geschichten und Welten mitzuprägen und mitzugestalten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5321629
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.