"Nebenan" von Daniel Brühl im Kino:Kommt ein Filmstar in die Kneipe

Szene aus dem Film "Nebenan" mit Daniel Brühl und Peter Kurth

Gleich gibt es Sülze: Daniel (Daniel Brühl, rechts) wollte zum Casting nach London, ist aber bei Bruno (Peter Kurth) in der Kiezkneipe "Zur Brust" hängen geblieben.

(Foto: Reiner Bajo/dpa/Warner)

Daniel Brühl zerlegt in seinem Regiedebüt "Nebenan" sein Image als Schauspieler. Eine Tragikomödie über Ossis, Wessis und Lebenslügen.

Von Kathleen Hildebrand

Wenn Schauspieler ihr Regiedebüt geben, schlägt ihnen oft mindestens Skepsis entgegen. Je berühmter der Schauspieler, desto strenger sind die Zuschauer: Kann der das denn? Oder glaubt er es nur, weil er schon ein paar Mal vor einer Kamera stand? Im Hämeland Deutschland muss man sich davor besonders in Acht nehmen.

Daniel Brühl hat mit seiner ersten Regiearbeit "Nebenan" in dieser Hinsicht aber keinerlei Probleme. Er hat eine Tragikomödie voller schwarzem Humor zu aktuellen Themen gedreht, die schon im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale lief. Und er hat die Sache mit der Häme ziemlich clever vermieden, indem er sie einfach im Film vorwegnimmt. Brühl spielt sich nämlich selbst. Oder nein, das zu behaupten, wäre gemein. Brühl spielt einen erfolgreichen Schauspieler deutsch-spanischer Herkunft, dessen Filme zwar veränderte Titel haben, aber deutlich als die von Brühl zu erkennen sind. Er spielt außerdem die schlimmstmögliche Vorstellung, die man sich von Daniel Brühl machen kann, wenn man ihn wirklich nicht mag, ihm seine Freundlichkeit, seine Bescheidenheit und sein ganzes Auf-dem-Boden-Gebliebensein, also sein Image, nicht abnimmt. Die erste halbe Stunde dieses Films ist ein Feuerwerk von ziemlich schonungslosen Selbstkasteiungspointen. Niemand wird nach "Nebenan" auf die Idee kommen, Daniel Brühl persönlich anzugreifen. Das erledigt er im Film schon genüsslich selbst.

Das Drehbuch hat Daniel Kehlmann geschrieben, und der macht seine Hauptfigur richtig fertig

Zuerst einmal ist Daniel (ja, die Figur heißt auch so) ein furchtbarer Schnösel: Er wohnt in einer architekturpreiswürdigen Maisonettewohnung aus Glas und Sichtbeton, mitten in Prenzlauer Berg, mit eigenem Außenaufzug. Sein großer Tag - er hat ein Casting in London für einen amerikanischen Superheldenfilm - beginnt mit einer zwanghaft hübsch angerichteten Frühstücksbowl und einem perfekt gebrühten Espresso aus einer glänzenden Maschine. Unter der Dusche raunt er zur Übung seinen Text fürs Casting: "Du bist aus der Dunkelheit gekrochen." Die zwei kleinen Söhne sind schon wach. Daniel spielt kurz mit dem Jüngsten, und es sieht aus, als würde er sogar das Spielen schauspielern. Kaum ist er mit dem Rollköfferchen aus der Haustür, telefoniert er schon mit seinem Assistenten. Die Haltung immer einen Tick zu aufrecht, die Stimme so sonor, als würde er sich selbst synchronisieren. Den Chauffeur, der ihn zum Flughafen bringen soll, schickt Daniel mit 20 Euro Trinkgeld ostentativ freundlich weg. Es ist ihm noch zu früh, er will schließlich nicht stundenlang in der Flughafenlounge angestarrt werden. Daniel ist ein arroganter Typ, der alles tut, um bloß nicht arrogant zu wirken.

Szene aus dem Film "Nebenan" mit Daniel Brühl und Aenne Schwarz

Die Beziehung lief auch schon mal besser: Aenne Schwarz und Daniel Brühl in "Nebenan".

(Foto: Reiner Bajo/Warner)

Auch deshalb geht er an diesem Morgen in seine Stammkneipe mit dem exzellenten Namen "Zur Brust". Eine ranzige Bierstube mit Darts-Automat, Leuchtreklame für Schultheiss-Bier, darunter grün-gelbe Oma-Zimmerpflanzen, nicht ironisch gemeint. Das Drehbuch von "Nebenan" hat Daniel Kehlmann geschrieben und es ist so gut, dass man jeden Satz, jede Geste von Daniel beschreiben möchte: Wie er durch dieses erzbodenständige Terrain schreitet und glaubt es dominieren zu können mit seiner Business-Straffheit, seinen englischen Telefonaten mit Hollywood-Agentinnen und der Kumpelei mit der Altostberliner Wirtin. Daniel ist nämlich auch das: ein Klischee-Wessi, der alles dafür tut, nicht als solcher gesehen zu werden.

Doch an diesem Tag kommt er damit nicht durch. An der Bar sitzt nämlich Bruno. Bruno trägt eine beige Rentnerjacke, hat schütteres längeres Haar und wird von Peter Kurth gespielt. Erst guckt er nur zu lange rüber, dann will er ein Autogramm, dann wischt er sich mit der Serviette, auf der das Autogramm steht, beiläufig das Bier vom Mund. Weil Peter Kurth ihn spielt, von dem immer alles kommen kann, vor allem Vernichtung, aber auch Herzlichkeit, ist eines sofort klar: Bruno ist nicht irgendein harmloser grimmiger Ossi-Opi. Er hat etwas vor. Der Name der Kneipe fängt an, seiner Bedeutung gerecht zu werden.

In Bruno brodelt der Hass über den arroganten Filmfuzzi und seine verglaste Gentrifizierungswohnung

Zuerst nimmt Bruno sich Daniels Filme vor, die er gespenstischerweise alle szenengenau kennt. Der "Stasi-Film" (in der echten Brühl-Filmografie "Goodbye Lenin", in dem auch Peter Kurth mitgespielt hat): "Wessi-Romantik". Das nachgebaute Boston in "Mindful", (also der Netflix-Serie "The Alienist"): "Brauch ich nicht." Der Superhelden-Schinken, für den er vorsprechen will und der eindeutig an Brühls Marvel-Film "The First Avenger: Civil War" erinnert: "Was für ein Schrott." Das Grundproblem von Daniels Schauspielfähigkeiten, die Bruno zufolge nicht existent sind: "Ich sehe immer nur Sie." Die Beleidigungen in Kehlmanns Drehbuch basieren zum Teil auf Dingen, die Brühl wirklich schon an den Kopf geworfen bekam.

So richtig bedrohlich wird es aber erst, als Bruno beginnt, Daniel über dessen eigenes Privatleben aufzuklären. Das Kindermädchen Conchita sei nicht ganz so gutmütig, wie sie zu sein scheine. Daniels Freund, der Regisseur Morten, habe am gemeinsamen Beethoven-Filmprojekt längst das Interesse verloren. Und Daniels Frau Clara war nicht immer, wo sie zu sein vorgab. Bruno nimmt Daniels Leben auseinander, hat intimste Informationen, und zwar nicht nur, weil er im Hinterhof wohnt und freie Sicht in die bodentiefen Fenster hat. In Bruno brodelt ein Hass, der von Wut über die Gentrifizierung seines Viertels befeuert wird, vom alten Ost-West-Konflikt und, klar, sicher auch von Neid.

Wie diese grundverschiedenen Männer da in der kleinen Kneipe, zwischen Tresen und Tisch miteinander ringen, wie mal einer die Oberhand gewinnt und dann wieder der andere, ist ein so konzentriertes, abgründiges Vergnügen, wie es der deutsche Film nicht oft hervorbringt. Kehlmann und Brühl finden immer wieder zum komödiantischen Ton zurück, auch wenn ihre Figuren gelegentlich kurz die Füße ins tiefe Schwarz strecken. Sein Casting in London ist Daniel bald nicht mehr so wichtig. Der große Showdown findet an diesem Tag nicht zwischen "Laser-Angel" und den Comic-Mächten der Finsternis statt, sondern in der Eckkneipe, zwischen dem alten Berlin und dem neuen.

Nebenan, Deutschland 2021 - Regie: Daniel Brühl. Drehbuch: Daniel Kehlmann. Kamera: Jens Harant. Mit: Daniel Brühl, Aenne Schwarz, Peter Kurth. Warner, 92 Minuten.

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