"Neapels Unterwelt" von Ulrich van Loyen:Gemeinschaft der verlorenen Seelen

Straßenszenen im Rione Sanita

Neapel, Sanità: Hier begann Ulrich van Loyen seine Stadterkundung.

(Foto: Andreas Fischer/SZ Photo)

Warum in Neapel die Gentrifizierung nicht gelang? Ulrich van Loyen findet eine Antwort in der Unterwelt und im Totenkult, der Lebende und Verstorbene verbindet.

Von Thomas Steinfeld

Der kürzeste und schnellste Weg aus der Altstadt von Neapel hinauf zum Königsschloss auf dem Capodimonte führt über eine Brücke. Sie ist nicht lang, nur wenig mehr als hundert Meter. Doch ist sie von großer Bedeutung, und zwar nicht nur, weil sie die nördlichen Stadtviertel erschließt. Sie isoliert auch den Stadtteil Sanità, der, seit es diese Brücke gibt, also seit Joachim Murat, der Schwager Napoleons, über die Stadt herrschte, unter den Pfeilern in Altertümlichkeit und Armut verharrt. Auf dieser Brücke steht im Juni 2013 Ulrich van Loyen und betrachtet die kleine Welt unter sich, in der er sich ein paar Monate zuvor niedergelassen hat. Es ist Nachmittag, und die Motorroller sind zu Hunderten losgelassen. Zwei Gedanken gehen dem Ethnologen bei diesem Anblick durch den Kopf. Der eine handelt von dem Gewusel der Menschen und Maschinen, das aus lauter ähnlichen, sich laufend wiederholenden, aber separaten und immer wieder neu einsetzenden Bewegungen besteht, die sich gleichwohl zu einer Einheit namens "Sanità" formieren. Der andere zieht einen Vergleich zur dunklen Welt der Katakomben, die sich unter der Sanità erstrecken. Denn so wie die Bewohner dieses Viertels vom Rest der Stadt wahrgenommen werden wollen, so glauben die Menschen hier, so möchten auch die Toten von den Lebenden nicht vergessen werden.

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