Süddeutsche Zeitung

NDR-Chef Jobst Plog im Interview:"Niemals weniger frei sein"

17 Jahre Intendantenleben: Der scheidende NDR-Chef Jobst Plog zieht Bilanz - und spricht über Springer, Qualitätskorrekturen, Anne Will und Starqualitäten, die Krise der "Tagesthemen" sowie die ihm fremde digitale Welt.

Interview: Hans-Jürgen Jakobs

SZ: Herr Plog, in 17 Jahren Intendantenleben haben Sie oft die Medienkonzentration in Deutschland kritisiert, gerne auch unter Einschluss des meinungsmächtigen Axel Springer Verlags. Nun darf ausgerechnet Springer-Chef Mathias Döpfner für den NDR einen TV-Film über den britischen Verleger Lord George Weidenfeld machen. Ist das die Altersmilde eines Intendanten? Oder Altersweisheit?

Jobst Plog: Das Programm gestalte ich nicht persönlich, ich bin dafür verantwortlich. Mathias Döpfner kenne ich schon aus seiner Zeit als Chefredakteur der Hamburger Morgenpost. Später habe ich ihn einmal eingeladen, auf einer NDR-Matinee eine Laudatio auf Wolf Biermann zu halten - und er hat einen fulminanten Vortrag gehalten. Dass er ein guter Autor ist, wird niemand bestreiten.

SZ: Als TV-Macher ist er noch nicht aufgefallen.

Plog: Die Idee für einen Film über Lord Weidenfeld mit Döpfner kam von der Produktionsfirma Polyphon, einer Enkeltochter des NDR. Der 88-jährige Verleger ist eine spannende Figur. An ihn so nahe heranzukommen, dass er ein Porträt zulässt, ist sicherlich nicht einfach. Döpfner hat diese Nähe.

SZ: Die vornehmste journalistische Tugend ist es, Distanz zu halten.

Plog: Ja, sicher. Aber wenn jemand alles in seinem Leben gehabt hat, auch an Öffentlichkeit und Auszeichnungen, ist es leichter, wenn ihm jemand nahe ist. Dass sich diese Nähe nicht in dem Beitrag widerspiegeln darf, ist eine ganz andere Frage - und eine Erwartung. In seiner Rede auf Biermann hat Döpfner damals die ganze Springer-Geschichte in erstaunlicher Offenheit auf- und abgearbeitet und das eigene Haus nicht geschont.

SZ: Als Springer vor zwei Jahren den privaten Fernsehkonzern Pro Sieben Sat 1 kaufen wollte, haben Sie davor gewarnt. Die Kartell- und Medienwächter verhinderten dann den Deal. Eigentlich müssten Sie es begrüßen, dass Springer nun ganz aus der Pro-Sieben-Gruppe aussteigt und einen Restanteil von zwölf Prozent verkauft.

Plog: Mein Verhältnis zu Springer ist auch in der Vergangenheit nicht von Freund-Feind-Denken geprägt gewesen. In solchen Dingen bin ich sehr liberal. Springer war ja im Übrigen zuletzt nur noch ein kleiner Minderheitsgesellschafter, da spielt der Verkauf also keine große Rolle mehr. Wenn man sich die Entwicklung im deutschen Medienmarkt anschaut, dann erscheint die Entscheidung des Bundeskartellamts gegen Springer nachträglich vielleicht sogar in einem leicht veränderten Licht. Inzwischen sind ja überall Finanzinvestoren tätig, auch bei Pro Sieben Sat 1. Ich wundere mich immer noch, dass da kein anderer deutscher Verleger beizeiten eingestiegen ist - und dass der Staat an dieser Stelle die heimische Medienbranche nicht so schützt, wie andere Staaten das auch tun.

SZ: Finanzinvestoren passen nicht in die Medienbranche?

Plog: Wenn Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehsender allein nach Renditegesichtspunkten geführt werden und das publizistische Ethos eines Verlegers völlig verschwindet, dann ist das eine für den Meinungssektor bedenkliche Entwicklung.

Auf der nächsten Seite ist Plog für manches Format aus dem Privatfernsehen dankbar.

SZ: Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie über eine "Vernichtungsstrategie" der Privaten und der Politik gegen ARD und ZDF geklagt. War das nicht viel zu kräftig aufgetragen?

Plog: Wer eine Strategie durchsetzen will, muss immer ein wenig übertreiben - sonst kriegt er die Leute nicht auf Kurs. Je jünger ich war, desto besser konnte ich zuspitzen. Ich glaube aber auch, wir waren insgesamt ganz gut - insbesondere im Vergleich zu anderen Unternehmen, die in einem öffentlich geschützten Monopol oder Duopol waren, etwa Bundespost und Bundesbahn. Wir haben die Kurve von der Anstalt zum Unternehmen ziemlich schnell geschafft und uns in der Konkurrenz positiv verändert. So haben wir Zuschauer und Hörer zurückgewonnen.

SZ: Wie sehr hat Ihnen geholfen, dass das Boulevard-Gekreische in Sendern wie RTL oder Sat1 viele ernüchtert hat?

Plog: Die konservativ-liberale Seite, die den privaten Rundfunk mit viel Kraft und Geld gefördert hat - man denke an die Verkabelung aus Steuermitteln -, ist inzwischen nicht mehr davon begeistert, was sie da ausgelöst hat. Es gibt bei den Wertekonservativen eine Rückbesinnung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

SZ: Das klingt nach einer Überlebensgarantie.

Plog: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist immer in Gefahr. Es ist ja damals schnell die Forderung aufgekommen: Warum zahlt man nicht nur dafür, was man sieht? Wir mussten deshalb unsere Legitimation über die Akzeptanz bei den Zuschauern erhalten. Das hat hervorragend funktioniert. Heute müssen wir den Kurs vielleicht ein bisschen in Richtung Qualität korrigieren. Zurück zu Ihrer Frage der Überlebensgarantie: Hätte nicht das Bundesverfassungsgericht alle zehn Jahre sehr klar eine verbindliche Interpretation der Verfassung gemacht, wäre es der Medienpolitik leichter gefallen, uns in eine Sekundärrolle zu verweisen.

SZ: Was haben die Privaten zur Entwicklung der Fernsehlandschaft geleistet?

Plog: Sie haben zunächst einmal ihre Aufgabe erfüllt, mit diesem Medium Geld zu verdienen. Zu diesem Zweck mussten sie in mancher Weise interessanter und näher am Zuschauer sein, als wir es damals waren. Wir haben davon natürlich auch gelernt.

SZ: Sind Sie am Ende dankbar für manches Format aus dem Privat-TV?

Plog: Ja, für manches. Harald Schmidt wäre ohne den Vorlauf im Privatsender Sat 1 nicht an diese Grenzen herangekommen, die er danach in der ARD testen konnte. Auf diese Weise haben sich die Freiräume erweitert. Ich denke, der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf niemals weniger frei sein als der private.

SZ: Aber der darf mehr Hemmungen haben.

Plog: Er muss mehr Hemmungen haben! Aber das ist leicht erreichbar.

SZ: Sie fordern jetzt mehr Qualität im Programm ein. Hatte das Quotendenken überhandgenommen?

Plog: Es gibt immer Wellenbewegungen. Am Anfang war es schwer genug, den Mitarbeitern zu sagen, wie wichtig für das Überleben das Erreichen von vielen Zuschauern ist. "Quote" hört sich so abstrakt an - aber dahinter verbergen sich reale Menschen, die einen Apparat einschalten. Das neue Denken haben wir top-down durchgesetzt. Dabei sind wir hier und da vielleicht zu weit gegangen. Seit anderthalb Jahren reden wir im NDR darüber, an welchen Stellen wir mehr Relevanz brauchen. Die Folge ist, dass wir zum Beispiel im Hörfunk eine Rechercheredaktion eingerichtet haben. Die leistet sehr gute Arbeit.

SZ: Am Nachmittag und am Abend verlustiert sich die ARD im Fernsehen wie die anderen mit Telenovelas, Daily Soaps und Tier-Dokus. Kein sehr scharfes öffentlich-rechtliches Profil.

Plog: Man kann nicht zu allen Zeiten scharf öffentlich-rechtlich arbeiten. Etwa am Vorabend: Nur da dürfen wir Werbung zeigen, wollen und müssen also gezielt junge Leute erreichen. Da helfen solche Programme. Unzumutbar sind sie nicht. Solange die allgemeine Rundfunkgebühr zum Sehen berechtigt, aber nicht verpflichtet, ist das eine vertretbare Form des Kompromisses. Umfragen belegen, dass 90 Prozent der Deutschen genau wissen, welches Programm sie gerade eingeschaltet haben. Da gibt es nicht zum Verwechseln.

Auf der nächsten Seite erklärt Plog, wie die Verpflichtung von Günther Jauch scheiterte.

SZ: Was könnte sich öffentlich-rechtliches Fernsehen nie erlauben?

Plog: Gerichtsshows. Das ist mit das Schlimmste, was ausgestrahlt wird. In meinen 30 Jahren NDR war ich Gott sei Dank nur elf Tage krank zu Hause - wenn man das dann mal in Ruhe sieht, findet man es unfassbar. Was da alles ins Drehbuch hineingeschrieben wird! Auch Talkshows, in denen sich Paare zausen und parallel der Schwangerschaftstest vorgestellt wird, sind in der ARD undenkbar.

SZ: Seit Jahren debattiert die ARD über die Verjüngung des Programms. Nach wie vor aber liegt das Durchschnittsalter der Zuschauer bei knapp unter 60 Jahren.

Plog: Die Strategie mit dem Jüngerwerden soll man nicht übertreiben. Man kann im Fernsehen erfolgreich keine Inseln für junge Leute schaffen - sondern nur einen eigenen Kanal, so wie ARD und ZDF den Kinderkanal haben. Es müsste etwas sein wie unser N-Joy im Radio hier im Norden. Das ist stets meine Anregung gewesen. Die Medienpolitik hat das verhindert, auch im digitalen Fernsehen. Kultur und Bildung dürfen wir immer machen, aber keine Alternative zu MTV. So freue ich mich halt, dass wir mit der "Sportschau" oder der "Tagesschau" mehr Leute bis 49 Jahren erreichen als die Privaten.

SZ: Stars sollten das Programm populär machen, das war Ihr Konzept. Doch dann scheiterte der Versuch, den RTL-Moderator Günther Jauch für eine Sonntags-Talkshow in die ARD zu holen. Ist das Starsystem gescheitert?

Plog: Nein, aber es wird schwerer. Man kann es mal von der Verpflichtung Harald Schmidts aus betrachten. Wenn man vergleichbar lange mit ihm wie mit Jauch verhandelt hätte, wäre das Projekt kaputtgegangen. Bei der Schmidt-Show sprang die ARD-Filmtochter Degeto zur Finanzierung ein. Dadurch entfiel vieles an öffentlicher Diskussion, was einigen Aufsichtsgremien missfallen hat. Dieser Streich war nicht noch einmal machbar.

SZ: Daran scheiterte die Verpflichtung Jauchs?

Plog: Ich hatte das Mandat der Intendanten, mit Jauch abzuschließen. Alle Verhandlungsziele waren erreicht. Es gab aber erhebliches Murren in diesem oder jenem Gremium. Offenbar waren viele von ihnen nicht rechtzeitig und detailliert informiert worden. Als dann ein ARD-Schwergewicht nach Abschluss der Verhandlungen zu Jauch ging und ihm sagte: "Wenn Sie nicht noch draufpacken, dann sehe ich in meinem Rundfunkrat eine geringe Wahrscheinlichkeit für Zustimmung", war die Sache gescheitert. Die ARD wird sich künftig überlegen müssen, wie sie solche Entscheidungen fällt. Mein Rat: Ein Intendant sollte federführend für alle verhandeln, vertraulich begleitet vom Rundfunkrat seines Hauses. Wenn jedoch alle mitreden wollen - darunter auch Sender, die nur ein Prozent des Budgets tragen - und sich jedes Gremium auf Kosten eines Stars profilieren will, dann werden wir solche Projekte nicht mehr schaffen.

SZ: Sie haben in der Diskussion um den Sonntags-Talk manches ARD-Talent mit der Aussage vergrätzt, es fehlten solche "Starqualitäten", wie Jauch sie habe.

Plog: Unsinn, ich will doch keinen beschädigen. Ich habe damals nur gesagt, dass diesem und jenem Protagonisten die vergleichbare Starqualität fehlt. Das gilt heute auch zum Beispiel für Anne Will - aber sie hat, auch ohne Jauch zu sein, eine hervorragende Qualität, wie ihr großer Erfolg am Sonntagabend beweist.

SZ: Gewundert hat sich über Ihre Starqualitäten-Analyse zum Beispiel der ARD-Moderator Frank Plasberg, der inzwischen mit "Hart aber fair" mittwochs im Ersten sendet. "Meine Eltern haben sich darüber sehr geärgert", sagte er.

Plog: Ich freue mich nicht nur, um die Eltern Plasbergs zu erfreuen: Ich freue mich, dass er so erfolgreich ist mitten in der Woche und dass er dabei ist, an Starqualität deutlich zuzulegen.

SZ: Wie zufrieden sind Sie mit Harald Schmidt, der ja inzwischen mit Oliver Pocher ein im Privat-TV großgewordenes Pendant braucht?

Plog: Ich habe nie geglaubt, dass ein solches Format mit einem solchen Akteur stabil immer auf einem Niveau segelt. Dafür ist es viel zu schwierig. Es ist ein mutiger, wichtiger Versuch, junge Leute zu erreichen. Man kann noch nicht sagen, ob es klappt.

SZ: Die Moderation einer "Bambi"-Gala scheint Schmidt derzeit mehr zu liegen.

Plog: Da hat er sich wohl gefühlt, weil da viel zu provozieren ist. Die Sendung war ja auch lang genug, um sich gut einzuüben.

SZ: Zu lange, weil ausgerechnet der mit einem Mut-Bambi ausgezeichnete Schauspieler und Scientologe Tom Cruise eine Art Dankespredigt halten und sich mit "heiliges Deutschland" verabschieden durfte?

Plog: Da war ich längst über alle Berge. Es hat mir gar nicht eingeleuchtet, dass dafür allen Ernstes die "Tagesthemen" um eine Stunde verschoben wurden. Solche Sendungen wie die "Bambi"-Gala dürfen sein, sie sollten aber weder zu einer PR-Show werden, noch zu einem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

SZ: Die "Tagesthemen" fangen ohnehin an sieben Tagen zu fünf unterschiedlichen Zeiten an.

Plog: Sie sind wirklich schlecht dran im Augenblick. Der Beschluss, sie von 22.30 auf 22.15 Uhr vorzuverlegen, hat den gewünschten Effekt nur zum Teil gebracht. Das "heute-journal" im ZDF hat mit seinem regelmäßigen Beginn um 21.45 Uhr einen großen Vorteil. Die ARD hat das noch nicht im Griff.

Auf der nächsten Seite verrät Plog, worauf er in seiner persönlichen Bilanz am meisten stolz ist.

SZ: Was muss passieren?

Plog: Wir müssten wieder über die Struktur des Abendprogramms diskutieren, also beispielsweise darüber, wie viele politische Magazine wir brauchen. Das geht ans Kerngeschäft der ARD und an föderale Grenzen. Der WDR-Intendant Fritz Pleitgen und ich wollten immer, dass politische Magazine verschmelzen - dass es weniger gibt, die dafür länger laufen. Das ZDF kommt mit einem einzigen Magazin, "Frontal 21", gut aus. Aber das haben wir leider nicht mehr geschafft. Das ändert nichts daran, dass wir alles in allem sehr gut aufgestellt sind. Deshalb wird die ARD wieder Marktführer werden.

SZ: Wie wichtig ist es, die teuren TV-Rechte an der Fußball-Bundesliga für die "Sportschau" in der ARD zu sichern?

Plog: Der Fußball soll bei uns bleiben. Ich hoffe, das ZDF beweist öffentlich-rechtliche Solidarität, indem es sich nicht mit abenteuerlichen Angeboten um eine 22-Uhr-Sportschau bemüht. Ein solches Programm würde bedeuten, dass der Fußballfan, der kein Pay-TV will und aufs frei empfangbare Fernsehen angewiesen ist, die Bundesliga bis spät am Abend nicht sehen kann. Ich rate dem ZDF dringend, sich in dieser Strategie abzusprechen. Es könnte ja an anderer Stelle kompensiert werden - zum Beispiel könnte das ZDF einige Fußballpokalspiele mehr zeigen als die ARD. Im Augenblick habe ich manchmal das Gefühl, wir haben mehr Solidarität bei den Sponsoren der Fußballklubs als beim ZDF.

SZ: Wie meinen Sie das?

Plog: Immer wieder sieht man jemanden vom ZDF, der in München Leo Kirch besucht.

SZ: Mit dem Medienhändler, dessen Konzern im Jahr 2002 in die Pleite ging, haben Sie immer wieder zu tun gehabt. Hätten Sie an Kirchs Comeback geglaubt?

Plog: Nein, obwohl ich seine Kampfesfreude nie unterschätzt habe. Er ist einer der ganz großen Akteure, keine Frage. Nun ist er wieder da.

SZ: Richtig da? Oder als Phantom?

Plog: Das weiß ich nicht. Wie immer, wenn Kirch im Spiel ist, hat diese Geschichte etwas Mysteriöses. Da kommt die Deutsche Fußball-Liga zusammen, will die Rechte vermarkten, hat aber keine Vorlage. Dann wird kurz mal Kirch angerufen und es heißt: Nein, wenn Ihr Euch jetzt nicht entscheidet, zieht er sein Angebot zurück. Und dann steht die Liga stramm, bis auf den Hamburger SV. Kirch hat nie anders gearbeitet. Man fragt sich angesichts eines solchen Vertrags, was die Fußballpräsidenten bewegt, wenn sie zu solchen Sitzungen gehen.

SZ: Herr Plog, wenn Sie auf Ihre Intendantenzeit zurückblicken - worauf sind Sie in einer persönlichen Bilanz besonders stolz?

Plog: Darauf, dass wir uns von der Präsenz der Politik befreit haben. Heute weiß ja keiner mehr im NDR, wie es noch vor 20 Jahren im Verwaltungsrat zuging, mit den vielen schwarzen und roten Ministern. Wenn ich das im Funkhaus erzähle, halten die jüngeren Mitarbeiter es für Jägerlatein. Dass Politiker Einfluss haben wollen, ist normal. Man kann sich dagegen wehren, ohne Widerstandskämpfer zu sein. Ich habe mit dieser Linie begonnen, als ich für das Landesfunkhaus Niedersachsen einen als eher konservativ-liberal geltenden Funkhausdirektor berief, obwohl der Ministerpräsident in Hannover damals Gerhard Schröder hieß. Man muss an der schwierigsten Stelle beginnen. Das hat mich eine Menge an Konflikten gekostet, aber am Ende steht: Dieses Haus ist unabhängig.

SZ: Das bleibt es auch?

Plog: Ja. Ich habe mit Lutz Marmor einen Nachfolger, der zweifelsfrei unabhängig ist. Das gilt auch für seinen Stellvertreter. Hier ist kein Rot-Schwarz-Paket geschnürt worden.

Auf der letzten Seite hat Plog nicht vor, durch das Haus zu geistern.

SZ: Wie sieht der ideale Intendant aus?

Plog: Er ist ein Publizist mit Managerqualitäten. Journalisten halten sich für universell geeignet, weil sie Generalisten sind. Ich habe nie ein Feature gemacht, aber umgekehrt hat jeder meiner Programmkollegen geglaubt, dass er Rechteverhandlungen führen sollte. Es ist schade, dass es nach meinem Weggang in der ARD keinen Intendanten mehr gibt, der als Jurist dieses Anwaltsprofil hat. Das sind Leute, die gelernt haben, spielerisch mit Konflikten umzugehen. Ich finde, einen Anwalt an der Spitze sollte sich die ARD leisten.

SZ: Die digitale Welt wird die Medienunternehmen in viele Anpassungskrisen stürzen. Glauben Sie, dass das Fernsehen dabei ein Massenmedium bleibt?

Plog: Ja, auch wenn sich die Aufmerksamkeit des Publikums teilt. Die großen vier Sender liegen noch kontinuierlich bei mehr als 50 Prozent. Das wird so bleiben. Und besonders effektiv werden wir, wenn wir zu besonderen Anlässen die ganze Kette mobilisieren - also mit TV-Programmen, Radio, Online-Angeboten sowie kooperierenden Zeitungen. So geschehen etwa bei der von mir initiierten ARD-Themenwoche Krebs.

SZ: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat vor einigen Monaten die Stellung der Öffentlich-Rechtlichen gestärkt. Sehen Sie den Weg frei für eine Expansion im Internet?´

Plog: Dass wir im Internet tätig sein dürfen, ist jedenfalls nach Karlsruhe - und nach Entscheidungen der EU-Kommission - unstreitig. Es kann nicht sein, dass wir von einem Teil der Menschen abgeschnitten sind. Da geht es uns nicht anders als der Presse. Wie sie haben auch wir Probleme bei der nachwachsenden Generation. Deshalb treffen sich die Verleger und die Sender nun im Internet. Schöner war es, als wir uns nicht begegnet sind. Dass die Presse teilweise auch weiterhin so tut, als ob wir hier über die Hecke fressen, obwohl doch eigentlich die Verleger in unseren Bereich eindringen wollen, nämlich vor allem das Fernsehen, das finde ich befremdlich.

SZ: Ein Marktversagen ist im Internet nicht zu entdecken. Braucht es da überhaupt eine Grundversorgung wie im Rundfunk?

Plog: Manche in der Politik sagen, ARD und ZDF dürften nur dann in neuen Bereichen aktiv werden, wenn da nicht schon jemand ist. Das ist völlig unhaltbar. Es gibt dazu eine klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - nicht etwa des Amtsgerichts Altona. Auf dieser Grundlage sollte man schauen, wo berühren sich Presse und öffentlich-rechtlicher Rundfunk, und wo muss man sich nicht unnötig beschädigen. Ich glaube, die Zeitungen haben es im Internet in Wahrheit mit ganz anderen Größen zu tun, die Anzeigen absaugen, Größen wie Google. Ich bin sehr dafür, dass die Qualitätspresse bestehen bleibt.

SZ: Viele Verleger hat irritiert, dass sich ARD und ZDF nicht an die verbindlichen Regeln gehalten haben - die sahen vor, dass sie maximal 0,75 Prozent ihres Budgets für Online einsetzen. Es wurden mehr.

Plog: Es war zunächst nicht glücklich, dass man sich hat erpressen lassen, eine solche Grenze einzuführen. Für die Zukunft ist sie ohnehin obsolet. Die wahre Begrenzung ergibt sich aus etwas ganz anderem: Wir haben eine Inflationsrate von 2,6 Prozent, aber uns wurde nur eine Gebührenpassung von 1,2 Prozent im Jahr bewilligt. Wir müssen also sparen und umschichten, wenn wir im Internet ein ernstzunehmender Wettbewerber sein wollen.

SZ: Wie soll das gelingen?

Plog: Ich habe noch den NDR-Wirtschaftsplan 2008 auf den Weg gebracht, aber das war es denn auch. Einer der Gründe, warum ich gerne aufhöre, ist, dass sich eine neue Welt auftut, die ich nicht in allen Details assoziiere, in der ich nicht mehr so viel Gespür habe.

SZ: Das heißt konkret?

Plog: Strategiebereiche wie Handy-TV oder Internet sind mir eher fremd. Wenn ich da den Wust an neuer Technik sehe, finde ich es gut, wenn es irgendwann einen Generationenwechsel gibt.

SZ: Sie schreckt die neue Welt?

Plog: Ich habe keine sinnliche Nähe dazu.

SZ: Wie bleiben Sie der ARD verbunden?

Plog: Ich werde weiter den NDR im Kultursender Arte vertreten und bleibe da Vizepräsident der Mitgliederversammlung. Viel Zeit werde ich in Hamburg verbringen - und wenn ich um Rat gefragt werde, werde ich ihn geben. Ich empfinde zu vielen hier im Haus Freundschaft, die werden mir fehlen.

SZ: Wird es regelmäßige Beratungstermine im NDR geben?

Plog: Nein, ich werde hier nicht durch das Haus geistern. Es wird im NDR keine Regelung wie im ZDF geben, wonach der ehemalige Intendant die Fahrbereitschaft und ein Dienstzimmer in Anspruch nehmen kann - eine Regelung also, die ihn hundert Jahre alt werden lässt.

SZ: Aber Privatier werden Sie auch nicht?

Plog: Nein. Aber ich will mehr private Zeit haben - und zu meinem südfranzösischen Zweitwohnsitz fahren, ohne zu wissen, wann ich zurückkomme. Ich habe da meinen Computer, mein Telefonbuch und meinen Kopf - damit kann man etwas anfangen. Mein Bürgermeister dort hat mir sogar angeboten, in seine Ratsmannschaft einzutreten. Das fand ich nach all den NDR-Jahren besonders toll: in einem 800-Menschen-Weindorf sozusagen unter die Winzer zu kommen.

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