Umweltkatastrophen in den USA:War da was?

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Optimismus statt Verzweiflung: Der grenzenlose Glaube an die Technik führt in Amerika zur Entfremdung von der Natur - und dazu, dass Umweltkatastrophen einfach vergessen werden.

Jeanne Rubner

Nicht einmal vier Monate sind seit der Explosion der Deepwater Horizon vergangen und längst sind die unmittelbaren Folgen der weltweit schwersten Ölpest noch nicht beseitigt, ganz zu schweigen von den langfristigen Schäden, welche die giftigen Kohlenwasserstoffverbindungen anrichten. Viele hatten gehofft, das Leck werde die Dämmerung des Öl-Zeitalters einläuten, doch tatsächlich scheint das Bohrloch im Golf von Mexiko bereits heute ein Kapitel der Vergangenheit zu sein.

Die USA erleben derzeit die schlimmste Ölpest der Geschichte. Was davon im Bewusstsein der Bevölkerung hängenbleiben wird, ist fraglich.  (Foto: dpa)

Amerika ist das Land der verdrängten Natur- und Umweltkatastrophen, das Vergessen prägt das Verhältnis der US-Bürger zur Natur und ihren Gewalten. Vorrangig mögen Politiker über die Folgen der Ölpest entscheiden, indem sie schärfere Gesetze beschließen oder auch nicht. Doch welche Unglücke sich ins kollektive Bewusstsein einbrennen, hängt ganz wesentlich vom Umgang einer Gesellschaft mit der Natur ab.

Angesichts der größten Ölkatastrophe Amerikas diskutieren Historiker intensiv, nach welchen Gesetzen Natur- und Umweltkatastrophen erinnert oder vergessen werden. Denn das hängt nicht nur davon ab, wie viele Menschen betroffen sind und welche Schäden die Natur davon trägt.

Wer Amerikas Umweltgeschichte studiert, stößt unweigerlich auf den Dust Bowl. Die heftigen Staubstürme, die im Frühjahr 1935 über die südlichen Great Plains von Kansas, Colorado, Oklahoma, Texas und New Mexico hinwegfegten, verwandelten innerhalb weniger Tage die Landschaft in eine trostlose Wüste. Eine Fläche fast doppelt so groß wie Deutschland war unbewohnbar geworden, Hunderttausende Menschen verloren Häuser und Jobs. Allein aus Oklahoma wanderten 15 Prozent der Bevölkerung nach Kalifornien aus.

Noch heute gilt der Dust Bowl als schwerste Umweltkatastrophe der USA. Farmer hatten die Prärielandschaft, auf der ursprünglich Viehherden weideten, in Weizen-Monokulturen verwandelt, weil das Getreide weltweit nachgefragt war, und das Aufkommen der Mähdrescher es möglich machte, große Flächen zu bearbeiten. Doch der Boden erodierte wegen des ständigen Weizenanbaus, durch das aride Klima der Prärie trocknete er zudem aus.

Nach ein paar besonders wasserarmen Sommern war das Erdreich regelrecht zu Staub geworden, und es bedurfte nur noch heftiger Winde, um die Prärie in eine Wüste zu verwandeln. Die Regierung in Washington griff ein und verordnete den Farmern alternative Methoden der Bewirtschaftung, vor allem auch Fruchtfolgen, die Boden und Klima angepasst waren.

Wie Phönix aus der Asche

In Erinnerung geblieben ist die Katastrophe, die global gesehen wegen der dünnen Besiedlung der Great Plains gar nicht so viele Menschen betraf, durch die Bilder, die jedes amerikanische Schulkind kennt. Denn damals hatte eine Landwirtschaftsbehörde das Fotoprojekt "Introducing America to Americans" gestartet, das den US-Bürgern ihr Land näherbringen sollte.

Die Bilder wurden zu Zeitdokumenten, zu Sinnbildern einer Ära, wie der Umwelthistoriker Christof Mauch von der Universität München in seinem Buch Geschichte der USA beschreibt. Zur kollektiven Erinnerung hat auch John Steinbecks Roman Früchte des Zorns beigetragen, der von verantwortungslosen Großgrundbesitzern handelt, die wirtschaftliche Depression und Dürrejahre mit verschuldeten.

Allerdings förderte die schriftstellerische und filmische Auseinandersetzung des Dust Bowls und die damit verbundene Historisierung auf subtile Weise den amerikanischen Fortschrittsglauben, analysiert Mauch in seinem Beitrag "Phönix und Mnemosyne" in dem Band Katastrophen machen Geschichte. Auf die von Katastrophen gebeutelte Ära, die in aufrüttelnden Bildern dokumentiert ist, folgte eine neue, bessere Zeit, was letztlich implizierte, dass die Katastrophe überwindbar ist.

Wie sehr Katastrophenverdrängung und Fortschrittsdenken zusammenhängen, belegt auch das Erdbeben von 1906 in San Francisco. Geschäftsleute versuchten damals, die Zerstörung der Stadt allein auf das Feuer zu schieben und die Möglichkeit wiederholter Beben in der Region herunterzuspielen - mit dem Ergebnis, dass die Region immer dichter besiedelt wurde.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die gegenwärtige Ölpest das Umweltbewusstsein der Amerikaner doch verändern könnte.

Mehr als jedes andere Volk verstehen sich die Amerikaner darin, Umweltkatastrophen, ob sie nun auf natürliche oder menschliche Ursachen oder beides zurückgehen, positiv umzudeuten. Das liegt an ihrem speziellen Verhältnis zur Natur, das von einem Überfluss an Ressourcen einerseits und dem historischen, ja fast religiös verstandenen Auftrag entspringt, das Land zu besiedeln und nutzbar zu machen. Schon Benjamin Franklin hatte geklagt, die Amerikaner seien schlechte Farmer, weil sie zu viel Land hätten. Land war immer vorrangig Ware und weniger, wie in Europa, heimatliche Landschaft.

Die Natur lässt sich - das bedingt der grenzenlose Glaube an Technik - bändigen oder zumindest kann man sich gegen das Risiko versichern: "Katastrophenoptimismus" nennt Christof Mauch das. Nirgendwo siedeln so viele Menschen in Regionen, die von Naturkatastrophen heimgesucht werden.

Mehr als 50 Millionen Menschen leben in den Küstengebieten im Süden und Osten der USA, wo sie der zerstörerischen Kraft von Hurrikanen ausgeliefert sind. Hunderttausende bauen ihre Häuser an den trockenen Hängen Südkaliforniens, wo im Sommer unweigerlich Waldfeuer ausbrechen. Doch anders als in der Schweiz etwa, wo man aus den großen Lawinenabgängen gelernt hat, bestimmte Täler nicht zu bewohnen, fürchten die Amerikaner die Naturgewalten wenig.

Zwischen den Hurrikanen Betsy und Katrina wurden zahlreiche Notunterkünfte abgeschafft, viele Siedlungen entstanden unterhalb des Meeresspiegels. Geld wurde in die Landgewinnung gesteckt, nicht aber in Dämme. Die Entfremdung von der Natur reduziert ihr Bedrohungspotential.

Katastrophenoptimismus versus Selbstreflexion

Amerika lernt nur selten aus der Katastrophe, es überwindet sie lieber. Dem Desaster wird deshalb im Nachhinein noch etwas Positives abgewonnen. Denn anhaltende Zerstörung impliziert auch anhaltende Wiederauferstehung. Katastrophenoptimismus, folgert Mauch, ist das Ergebnis einer funktionalisierten Erinnerung an das Desaster. Und dieser Optimismus verhindert, dass Umweltdesaster tatsächlich Konsequenzen haben.

Jedenfalls hat das Tankerunglück der Exxon Valdez, das 1989 ein einzigartiges Refugium für Vögel und Seeottern an der Küste Alaskas zerstörte, keine Kurskorrektur weg vom Öl ausgelöst. Warum sollte das bei der Deepwater Horizon viel anders sein? Zumal gerade im Golf von Mexiko eine unheilige Allianz von Behörden und Ölindustrie entstanden ist, die auf einem unbändigen Glauben an die technische Machbarkeit von Tiefseebohrungen beruht, wie der Wirtschaftshistoriker Tyler Priest von der Universität von Houston kürzlich im Internetforum Politico analysierte.

Dagegen will der Umwelthistoriker Brian Black von der Pennsylvania State University die Katastrophe im Golf von Mexiko nicht schon jetzt als folgenlos abhaken. Im Gegensatz zum Unglücksort der Exxon Valdez sei der Golf dicht besiedelt, nicht so fern und exotisch wie Alaska. Statt nur eine Episode im Pantheon der Industriekatastrophen zu sein, könnte die Deepwater Horizon zumindest Katalysator eines anderen Umgangs mit Öl sein, glaubt Brian Black.

Er verweist auf andere Ereignisse wie das von Love Canal, einen der dramatischsten Umweltskandale der USA, wo die Einwohner einer Stadt im Bundesstaat New York durch vergrabenen toxischen Müll schleichend vergiftet wurden. Love Canal sei, so Black, in der kollektiven Erinnerung noch präsent und habe strengere Umweltgesetze zur Folge gehabt. Oder auf die Ölpest von 1969 vor der Küste von Santa Barbara, die zumindest lokal einen Stopp der Ölbohrungen im Pazifik bewirkte.

Ist Amerika reif für eine Loslösung vom Öl? Vermutlich nicht, sagt Black - doch er plädiert dafür, das Unglück der Deepwater Horizon zumindest für eine selbstkritische Analyse zu nutzen. Ob das gelingt, oder ob Amerikas Katastrophenoptimismus wieder einmal eine Ölpest verdrängt, muss sich noch zeigen.

© SZ vom 06.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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