Nationalsozialismus und Sport:Warum Opa Olympia boykottierte

Die Argumente zum Olympiaboykott von 1936 ähneln der Debatte um Peking. Es scheint zu stimmen: Geschichte wiederholt sich.

Saul Newman

Während die Olympischen Spiele in Peking immer näher rücken, denke ich viel über die Rolle meines Großvaters Rabbi Louis I. Newman in der Boykottbewegung von 1936 nach. Damals nannten sie ihn den "Battlin' Louie", den streitbaren Louie. Eisern trat er für den Boykott ein, obwohl er es sich so mit der Welt des Sport verscherzte, an der ihm so viel lag.

Nationalsozialismus und Sport: Jesse Owens bei Olympia 1936. Er gewann für die USA vier Goldmedaillen. Damals gab es in Amerika auch die Diskussion um ein Olympia-Boykott.

Jesse Owens bei Olympia 1936. Er gewann für die USA vier Goldmedaillen. Damals gab es in Amerika auch die Diskussion um ein Olympia-Boykott.

(Foto: Foto: afp)

Das Internationale Olympische Komitee hatte die Spiele von 1936 an Deutschland vergeben, bevor Adolf Hitler an die Macht gekommen war. Doch auch nachdem die Nationalsozialisten die Herrschaft übernommen und begonnen hatten, Deutschlands Juden zu verfolgen, weigerte sich das IOC, einen anderen Austragungsort für die Spiele zu suchen. Die Begründung war, man solle Sport und Politik nicht vermischen. Hitlers Zusage, auch jüdische Sportler in die deutschen Mannschaften aufzunehmen, glaubte das Komitee aufs Wort.

Eine Reihe prominenter Amerikaner riet damals dringend zu einem Boykott der Spiele. Dazu gehörten nicht nur führende jüdische Denker wie mein Großvater, sondern auch Kongressmitglieder, sowie Angehörige von Organisationen wie der katholischen Kriegsveteranen und der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP).

Gefälligkeiten gegenüber den nationalsozialistischen Gastgebern

Sie wandten ein, eine Teilnahme an den Berliner Olympischen Spielen würde dazu beitragen, Hitlers Regime zu legitimieren. Außerdem würden die Nazis die Spiele nur benutzen, um ihr internationales Image aufzupolieren und die Welt davon abzulenken, wie sie Menschenrechte mit Füßen treten.

Von den amerikanischen Sportlern schlossen sich nur wenige dem Boykott an, wie neue Nachforschungen des David S. Wyman Institute for Holocaust Studies ergaben. Doch das ist kaum überraschend. Etwas aufzugeben, wofür man Jahre, vielleicht sogar das ganze Leben trainiert hat, fällt niemandem leicht. Gerade deshalb ist es bedauernswert, dass die Namen der Sportler, die Olympia fernblieben, in Vergessenheit geraten sind.

Sie gingen unter in all dem verständlichen Trubel, der um Jesse Owens gemacht wurde. Der afrikanisch-amerikanische Leichtathletik-Star führte Hitlers Theorie von der Überlegenheit der arischen Rasse ad absurdum. Owens jüdischer Teamkollege Marty Glickman war zwar nach Berlin gereist, wurde aber von den Trainern des US-Leichtathletik-Teams vom Vier-mal-100- Meter-Staffellauf ausgeschlossen, offenbar, um sich den nationalsozialistischen Gastgebern gefällig zu zeigen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Schweigen die schlechteste aller Möglichkeiten ist.

Warum Opa Olympia boykottierte

Die aktuellen Debatten über die chinesische Politik sind wie ein Echo der Argumente aus den dreißiger Jahren. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen dem modernen China und dem Deutschland der dreißiger Jahre. Doch die Regierung in Peking gibt genug Anlass für berechtigte Kritik.

Sie unterdrückt nicht nur die Menschen in Tibet, sondern alle, die sich für demokratische Ideale und Menschenrechte in China einsetzen. Außerdem unterstützt sie die Regierung im Sudan, die für den Völkermord in Darfur verantwortlich ist

Darüber, wie Menschen, die außerhalb Chinas leben, gegen diese Politik protestieren sollten, wird zur Zeit viel gestritten. Die einen sind für stille Diplomatie oder business as usual. Sie glauben, öffentliche Kritik an China würde die chinesische Regierung nur zu einer "Jetzt-erst-recht"-Haltung provozieren. Andererseits sind Hollywood-Größen wie Mia Farrow und Steven Spielberg sowie bekannte Journalisten darum bemüht, die Öffentlichkeit für Chinas politische Praxis zu interessieren.

Untätig

Eine Gruppe ehemaliger Olympioniken, angeführt von dem Eisschnellläufer Joey Cheek, gründeten das Team Darfur, um innerhalb der Sportwelt kritisches Bewusstsein für die Politik Pekings zu wecken.

Würde mein Großvater heute noch leben, würde er vielleicht zum kompletten Boykott der Spiele aufrufen, so, wie er es 1936 tat. Das Argument, Sport dürfe nicht mit Politik vermischt werden, würde er vermutlich energisch zurückweisen. Schließlich ist es die Regierung in Peking, die beides miteinander vermischt, indem sie von den Nationen der Welt verlangt, sie wie ein freiheitsliebendes Regime zu behandeln, obwohl ihr politischer Kurs ganz andere Werte verrät.

Realisten werden geteilter Meinung in der Frage sein, ob ein Boykott dieser Spiele wirklich die effektivste Taktik ist. Doch eines ist klar: Schweigen ist die schlechteste aller Möglichkeiten. In China leben viele Aktivisten, die sich nach größerer Freiheit sehnen. Sie sollten wissen, dass wir auf ihrer Seite sind, gerade in diesen Tagen, wenn alle Welt - einschließlich der chinesischen Regierung - auf China blickt.

Das ungeheure wirtschaftliche Wachstum Chinas im vergangenen Jahrzehnt bedeutet, dass die sozialen Voraussetzungen für eine Demokratisierung günstig sind. Sollen wir also untätig zusehen, statt uns durch symbolische Unterstützung für die Freiheit eines Fünftels der Menschheit einzusetzen?

Aus der Vergangenheit lernen

Anfang des Jahres erklärte eine Reihe führender Politiker, dass sie von der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking fernzubleiben würden, um auf diese Weise gegen das chinesische Vorgehen in Darfur und anderswo zu protestieren. Gewiss, dabei würde es sich um einen symbolischen Akt des Protestes handeln, der aber in jedem Fall angemessen wäre.

Symbole sind wichtig, sowohl für die chinesische Regierung als auch für jene, die sich ihrer Politik widersetzen.

Jetzt, kurz vor Beginn der Spiele, haben indes so einige Staatschefs der Welt, einschließlich des US-Präsidenten George W. Bush, angekündigt, sie würden der Eröffnungsfeier beiwohnen. Ausgerechnet Angela Merkel steht bisher zu ihrer Erklärung, nicht an der Eröffnungsfeier teilzunehmen.

Gewiss, Deutschland weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn sich die internationale Gemeinschaft in Schweigen hüllt. Doch auch die übrige freiheitsliebende Welt würde gut daran tun, aus der Vergangenheit zu lernen.

Saul Newman unterrichtet Politologie an der American University in Washington D.C. Deutsch von Eva Christine Koppold

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