Süddeutsche Zeitung

Favoriten der Woche:Schadenfreude für alle

Das "Museum of Failure" zeigt eine Pannenschau des Kapitalismus. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Ausstellung: Museum des Scheiterns

Schadenfreude ist ein niederer Instinkt. Im Kontext der Kapitalismuskritik wird daraus allerdings eine intellektuell rechtfertigbare Pannenschau. Wenn Konzerne ganze Produktlinien gegen die Wand fahren zum Beispiel. Deswegen gibt es das "Museum of Failure". Dieses Museum des Scheiterns war ursprünglich eine Ausstellung auf Reisen. Ab 17. März kann man im New Yorker Stadtteil Brooklyn all die Dinge der Konsumwelt betrachten, die mit Karacho und Millionen gescheitert sind. Coca-Cola BlāK zum Beispiel, eine schwarze Brühe, die den Kaffeeketten Konkurrenz machen sollte. Oder die Datenbrille Google Glass, deren Träger als "Glassholes" firmierten. Ein Parfum von Harley Davidson, die Überwachungspuppe Cayla oder der Monoski. "Innovation braucht das Scheitern", lautet das Motto der Webseite. Das ist ungefähr so glaubwürdig wie die Ansage, man kaufe den Playboy wegen der Interviews. Andrian Kreye

Bildende Kunst: Schadows liberale Prinzessinnen

Das Doppelstandbild, das Johann Gottfried Schadow 1795 von den Schwestern Luise und Friederike von Preußen (Mädchenname jeweils Mecklenburg) schuf, gehört zwar auch sonst zu den Höhepunkten in Berlins Nationalgalerie. Aber nur jetzt - letzte Gelegenheit bis 19. Februar - kann man Gipsmodell und Marmorfassung frisch restauriert in ein und demselben Raum betrachten. Weil der verspiegelt ist, sogar von allen Seiten gleichzeitig. (Der Gips ist natürlich immer noch ein bisschen anrührender.) Grund ist die Sonderschau zu Schadows "Berührenden Formen", die Yvette Deseyve hier kuratiert hat. Sehenswert ist die schon deswegen, weil sie die Genese dieses Nebeneinanderstehens in lässiger Umarmung zeigt: Figuren, die Zusammengehörigkeit zeigen und zugleich Eigenständigkeit. Strammstehendes Wir gab es, gerade in Preußen, ja mehr als genug. Peter Richter

Pop: Die Kastrierten Philosophen

Nehmen wir also für den Moment an, dass es das doch mal gab: einen deutschen Pop-Underground abseits von Kraftwerk, der bis ins Jetzt strahlt. Wirklich wahrscheinlich ist das natürlich nicht, und es wird auch nicht viel wahrscheinlicher, nur weil mit diesem Best-of (in popistisch gesegneteren Ländern würde man von einer "Anthology" sprechen) eine kleine Indiziensammlung vorliegt, dass es das eben doch gegeben haben könnte. Es wäre dann jedenfalls dies hier einzuräumen: Wenn es denn jemals Pop aus Deutschland gab, der sich selbst sehr ernst nahm, ohne darüber zu verkrampfen, der einen womöglich sogar internationalen Ansatz im Auge hatte, aber eben zu seinen eigenen Konditionen, Maßstäben, Ansprüchen, dann könnte er im näheren Umfeld der Kastrierten Philosophen herangewachsen sein.

Matthias Arfmann hat, nachdem die Band sich Ende der Neunziger wieder aufgelöst hatte, tatsächlich ein paar der bedeutenden, bleibenden Alben dieses Landes produziert: "Bambule" von den Absoluten Beginnern, nur zum Beispiel. Katrin Achinger startete eine recht feine Solokarriere. Und nun haben sie also das gemeinsame Schaffen kompiliert, auf "Jahre // 1981 - 2021 (+1)". Eine schon recht beeindruckende Angelegenheit.

Man nehme etwa "Bou Jeloud (Father of Skins)", entstanden 1994. Eine housige Groove-Herrlichkeit, angetrieben von etwas, das stark nach einer Tabla klingt, aber drumherum wummert und zirpt und flirrt und rumpelt es wirklich ganz wunderbar analog und warm und, nun ja: echt. Und dann halte man den Song neben das kammerspielartige, schattenriss-schöne "Love Factory" (1986), neben die Psychedelic-Cowboy-Musik von "Liquid Sky" (1991) oder die Indie-Pop-Nummer "Lady P." (1987). Und schon ist klar, warum halb Hamburg und ein Viertel von Deutschland noch immer hohldreht wegen dieser Band. Rocko Schamoni: "Die Philosophen waren meine Lehrer in der Großstadt." Der gerade unendlich zu jung verstorbene Kristof Schreuf: "Gegenüber Katrin Achinger und Matthias Arfmann kam ich mir wie ein Landei vor." Die Musikerin und Regisseurin Bernadette la Hengst: "Die Kastrierten Philosophen sind zeitlos und ortlos. Sie suchen Musik zwischen dem Weltall und den Apfelbaumplantagen." So ist das wohl. Jakob Biazza

Fotografie: Macrons "Photographe officielle"

Emmanuel Macron fläzt auf einer Couch, das Hemd viel zu weit geöffnet. Macron sprintet zu irgendeinem Termin. Macrons Rückenansicht, an seinen Schultern weint sich Kylian Mbappé nach dem verlorenen WM-Finale aus. Haben Sie sich auch schon gefragt, warum der französische Präsident auf Bildern so verdammt cool rüberkommt? An seiner Politik mag das nur bedingt liegen, schon eher an seiner französischen Nonchalance. Vor allem aber liegt das an Soazig de La Moissonnière, Macrons "Photographe officielle". Sie fotografiert ihn auf sämtlichen Terminen und teilt ihre Bilder auf Instagram. Dabei gelingt es ihr verstörend gut, den Präsidenten so sexy wie sympathisch, so dynamisch wie menschlich und auf alle Fälle immer total engagiert für das französische Volk zu präsentieren. Begeistert scrollt man also durch La Moissonnières Fotos und trauert kurz, dass wir so jemanden wie sie in Deutschland nicht haben. Christiane Lutz

Buch: "Like Punk Never Happened" von Dave Rimmer

Das vorliegende Buch endet mit dem irrwitzigen Moment, in dem die Gitarristen der zwei Bands Duran Duran und Frankie Goes To Hollywood 1985 während des legendären San-Remo-Festivals nachts in einer gut gefüllten Bar stehen - und plötzlich die Hosen öffnen, um ihre Geschlechtsteile zu vergleichen. Wer mit den Namen etwas anfangen kann, spürt wohl sofort, was in dieser leicht ekligen Szene alles steckt: der Kristallationspunkt aus Genie und Dekadenz, Hochmut und kreativer Abenteuerlust. Der Augenblick, in dem eine Glanzphase der europäischen Popkultur endgültig in ihren Niedergang hineinkippte.

Davon erzählte der britische Journalist Dave Rimmer 1986 in "Like Punk Never Happened", einem lange verschollenen Klassiker der Musikreportage, der nun endlich wieder erhältlich ist (Faber & Faber, ca. 12 Euro), erweitert um einige Begleittexte und ein Vorwort von Pet-Shop-Boys-Sänger Neil Tennant. Rimmer arbeitete in den 80ern beim Londoner Magazin "Smash Hits", einer bis heute einmaligen Legierung aus Teenagerheft und poststrukturalistisch angehauchter Satirezeitschrift. Dort war er für die Band Culture Club zuständig, deren überraschender Großerfolg mithalf, die Auflage von "Smash Hits" zeitweise auf über eine Million zu heben. Kurz, aber heftig dominierten britische Bands mit einem neuen, aus den Trümmern von Punk geborenen Popverständnis das Weltentertainment, verkauften den Amerikanern ihren eigenen Disco- und Soulsound. Aber führten dabei auch nach und nach die Kunstanarchie ad absurdum, die ihnen nach der Sex-Pistols-Revolution ungeahnte Freiheiten geschenkt hatte.

Dave Rimmers ebenso lustiges wie bösartiges, analytisches wie kunstsinniges, eminent intelligentes Buch spielt vor dem Hintergrund einer chaotischen Japan-Tour von Culture Club, die er damals als Backstage-Korrespondent begleiten durfte. Selbstverständlich könnte man unter heutigen Bedingungen solche Texte nicht mehr schreiben. Aber muss man vielleicht auch nicht: Selbst die aktuell gültige Aufmerksamkeitsökonomie erklärt der Autor - rund zehn Jahre vor dem Internet - schon bestechend scharf. Nur der Titel ist irreführend: Ohne Punk wäre das alles natürlich nie so passiert. Joachim Hentschel

In einer früheren Version dieses Textes stand, dass die Ausstellung des Museums des Scheiterns online anzusehen ist. Dies ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Wir haben den Text entsprechend korrigiert.

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