Frauen am Dirigenten-Pult:"So viel Liebe, Intensität und schiere Technik"

October 13, 2017 - MN, USA - the Orchestra playing Sergei Prokofievs Classical Symphony, with conduc

Doppelkarriere: Nathalie Stutzmann ist als Dirigentin und als Sängerin erfolgreich.

(Foto: Tom Wallace/imago images/ZUMA Wire)

Immer häufiger übernehmen Frauen die Leitung von internationalen Orchestern, so wie nun die Französin Nathalie Stutzmann in den USA. Das könnte ihr höchstes Renommee einbringen.

Von Helmut Mauró

Derzeit sind einige Frauen dabei, die Pulte renommierter Orchester zu stürmen. Die französische Dirigentin und Altistin Nathalie Stutzmann, 1965 in Suresnes geboren, gehört dazu. Sie übernimmt von der Saison 2022/23 an als Chefdirigentin das Atlanta Symphony Orchestra und ist damit nach Marin Alsop vom Baltimore Symphony erst die zweite Frau, die ein US-Orchester leitet.

Das Atlanta Symphony gehört zwar nicht zur ersten Liga der US-Orchester, konnte sich aber seit seiner Gründung 1945 stabil behaupten und hat gute Chancen, sich qualitativ weiter nach oben zu spielen. Was mit Nathalie Stutzmann durchaus gelingen könnte. Dies würde ihr höchstes Renommee verschaffen, wie es sich auf diese Weise die großen Orchester-Gründungsdirigenten und deren berühmte Nachfolger Mitte des 20. Jahrhunderts erarbeitet haben.

Dies würde sie nebenbei auch dort, wo noch genderspezifische Vorbehalte bestehen, über jede nicht sachbezogene Diskussion und Meinungsbildung erheben. Und die gibt es leider gerade in Deutschland, wo Stutzmann nach wie vor nur als Sängerin akzeptiert ist.

Als Sängerin hat Stutzmann schon mehr als 70 Alben aufgenommen

Dabei kann sie als eine der renommiertesten Musikerinnen eine sehr erfolgreiche Zweitkarriere vorweisen. Zunächst überzeugte sie als außerordentliche Solo-Altistin, mit einer besonders tiefen, herben Stimme, wie man in Aufnahmen von Johannes Brahms' Altrhapsodie oder in vielen Barockarien nachhören kann. Allerdings widmete sie sich schon während ihres Gesangsstudiums auch konsequent dem Dirigieren, was sie ab etwa 2008 mehr und mehr zu ihrer künstlerischen Hauptaktivität ausbaute.

Gleichwohl ist Stutzmann weiterhin als Altistin zu erleben, zuletzt auf ihrem großartigen Album "Contralto" mit Barockarien, begleitet von ihrem eigenen Ensemble "Orfeo 55" auf Originalklang-Instrumenten. Insgesamt hat Stutzmann bisher mehr als 70 Alben aufgenommen, mit Werken quer durch die Jahrhunderte, von Bach bis Prokofiew. Viele davon wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter ist auch ein Grammy.

Dass die Dirigentin Stutzmann auch große Oper beherrscht, bewies sie unter anderem 2017 an der Oper von Monaco mit Richard Wagners "Tannhäuser". Gleichwohl widmet sie sich als Dirigentin mehr dem symphonischen Konzertrepertoire, was sie für Symphonieorchester weltweit interessant machte, die sie häufig zu Gastdirigaten einladen.

Dazu kamen bald auch feste Verpflichtungen: Von 2017 bis 2020 war sie Erste Gastdirigentin des RTE National Symphony Orchestra in Dublin, seit 2018 ist sie Chefdirigentin des Kristiansand Symphony Orchestra in Norwegen, seit der Saison 2021/22 zudem Erste Gastdirigentin des legendären Philadelphia Orchestra.

"Sie bringt Lebendigkeit und Begeisterung auf das Podium."

Stutzmann will die Positionen in Norwegen und Philadelphia auch nach ihrem Amtsantritt in Atlanta beibehalten, wie ihre Agentur auf Anfrage bestätigte. Bei renommierten Dirigenten ist es durchaus üblich, zwei Chefpositionen innezuhaben und dazu Angeboten für Gastdirigate bei großen Orchestern nachzukommen.

Zu Stutzmanns Förderern gehören Seiji Ozawa und Simon Rattle, der ihre künstlerische Qualität einmal als "the real thing" bezeichnete: "so viel Liebe, Intensität and schiere Technik". Wir brauchen mehr "conductors" wie sie, sagte Rattle - und sicherlich meinte er damit nicht nur Dirigentinnen. In ihrer französischen Heimat sieht man das wohl auch so und ernannte sie zum Ritter des "Ordre National du Mérite", zum Offizier des Ordens "Arts et Lettres" und 2019 zum Ritter der Ehrenlegion.

In den USA braucht sie solcherlei Auszeichnungen nicht, dort wartet man mit freudiger Anspannung auf die neue Chefin. "Nathalie ist eine hervorragende Dirigentin", sagt Janine Brown, die Vorsitzende des Board of Directors des Atlanta Symphony: "Sie bringt Lebendigkeit und Begeisterung auf das Podium." Sie sei charismatisch und brenne für die Musik. Mehr Anfeuerung geht kaum.

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