Dem Geheimnis auf der Spur:Wo ist Nat Tate?

Nov 11 2011 London London UK London UK Nat Tate s 1928 1960 Bridge no 114 First work

Auf einer Auktion bei Sotheby’s in London wurde das Bild „Bridge No. 114“ 2011 für 7250 Pfund verkauft.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Sein Vater ertrank vor seiner Geburt, ein reiches Paar adoptierte ihn, seine Bilder machten ihn früh berühmt, er verkehrte nur in den allerbesten Kreisen. Nur: Der Künstler Nat Tate hat nie existiert.

Von Willi Winkler

Nat Tate war völlig in Vergessenheit geraten, als er 38 Jahre nach seinem Tod ein unerwartetes Comeback erlebte. Als 1998 auf einer Party eine Monografie über den Maler vorgestellt wurde, hieß es bei den Gästen: "Richtig berühmt war er ja nicht" oder: "Außerhalb von New York war er kaum bekannt", aber man erinnerte sich dunkel an seine Bilder.

Umso glücklicher waren alle, Zeuge seiner Wiederentdeckung zu sein. Der allseits verehrte David Bowie las ein Kapitel aus dem Buch, das der britische Schriftsteller William Boyd über den Toten verfasst hatte. Ergriffen lauschten Künstler wie Frank Stella und Julian Schnabel oder Schriftsteller wie Paul Auster, Jay McInerney und Siri Hustvedt sowie etliche hundert weitere Gäste in einem Studio in Manhattan der Geschichte des kurzen und traurigen Lebens von Nat Tate.

1928 kam er in New Jersey zur Welt, sein Vater war angeblich schon vor seiner Geburt ertrunken. Bereits mit acht Jahren war er Vollwaise, bis ihn ein reiches Ehepaar auf Long Island adoptierte. 1952 erlebte er seine erste große Ausstellung, die sofort ausverkauft war. Die Kritik feierte ihn, er verkehrte mit Willem de Kooning und Franz Kline, der Dichter Frank O'Hara nahm ihn unter seine Fittiche. Wie sie trank er zu viel, aber er malte wie besessen. Das berühmte Langgedicht "Die Brücke" des Dichters Hart Crane inspirierte ihn zu einer Serie von ungewöhnlichen Bildern.

Crane hatte 1930 die Brooklyn Bridge, dieses Wunderwerk der Ingenieurstechnik im New Yorker Hafen, mit grandiosen Worten besungen: "Und dich, die du den Hafen silbern überspannst,/ Als ob die Sonn an Dir hinaufgeschritten/ Und deinem Gang Bewegung unverbraucht erhalten hätte,/ Dir wesentlich, die Freiheit, die dich trägt!" Zwei Jahre später stürzte sich Crane vom Schiff ins Meer. Seine Leiche wurde nie gefunden.

Hut und Mantel wurden später gefunden, von ihm selbst fehlte aber jede Spur

Brücken - gestrichelt, gestanzt, collagiert, abstrahiert, ruiniert - Brücken wurden sein liebstes Motiv. "Ich mag Brücken", sagte Tate, "sie sind so stark, so einfach - aber wenn man daran denkt, was alles darunter treibt!"

Doch ein Besuch bei Pablo Picasso und Georges Braque führte ihm vor Augen, dass seine eigenen Werke bei allem Abstrakten Expressionismus nicht viel taugten. Er trank noch mehr und kaufte seine Bilder zurück, angeblich um sie zu "überarbeiten", und verbrannte dann fast alles, was er je geschaffen; nur 18 Zeichnungen blieben zurück. An einem besonders trüben Abend des Jahres 1960 nahm Tate die Staten Island Ferry und stürzte sich vor der Skyline Manhattans ins Wasser. Hut und Mantel wurden später gefunden, von Tate selber fehlte sonst jede Spur.

Das lag nicht nur am Vorbild Hart Crane, sondern vor allem daran, dass es Nat Tate nie gegeben hat. Er war eine Erfindung, die sich der britische Schriftsteller William Boyd und der Popstar David Bowie als Kunstaktion ausgedacht hatten. "Nat Tate entstand aus reiner Experimentierlust", erklärte Boyd später. "Ich wollte herausfinden, ob etwas, das von A bis Z erfunden war, ein eigenes Leben annehmen und als glaubhaft, real und echt durchgehen könnte."

Also schrieb er Tate eine fiktive Biografie zu und illustrierte das Büchlein mit alten Fotografien aus Nachlässen oder vom Flohmarkt. Fußnoten belegten einen kunsthistorischen Aufwand, um dem zu Lebzeiten verkannten Genie wenigstens zum Nachruhm zu verhelfen. Sogar einige überliefert gebliebene Zeichnungen fügte er an. "Ich wollte einfach herausfinden, wer uns die Geschichte abkaufte und wer ihr misstraute."

Ungefragt reihte Peggy Guggenheim Tate in die Liste ihrer Liebhaber ein

Von Misstrauen bei der Vernissage wird nichts berichtet, im Gegenteil gab es unter den Gästen manche, die behaupteten, Bilder von Tate in Galerien gesehen zu haben. Einige wollten ihm sogar persönlich begegnet sein. Lange her, ja, traurig die Geschichte.

Niemand schien aufzufallen, dass die Präsentation an einem 1. April stattfand, oder dass der Name vielleicht doch eine Spur zu schlicht war: Nat Tate, zusammengesetzt aus den beiden wichtigsten Londoner Museen, der National und der Tate Gallery.

Doch Fotos von Picasso und Braque verliehen dem Schwindelunternehmen den Anschein von Echtheit, und der tatsächlich echte Schriftsteller Gore Vidal war so freundlich, sich auf dem Buchumschlag an den Toten zu erinnern, an einen "stilvollen Trinker, der nicht viel zu sagen hatte. Im Unterschied zu den meisten amerikanischen Malern war er nonverbal."

Ungefragt reihte Peggy Guggenheim Nat Tate in die umfangreiche Liste ihrer Liebhaber ein und versicherte, dass sie jedenfalls sein Talent nicht verkannt hatte: "Er war fast so gut wie Sam Beckett, der eine schlechte Haut hatte."

Die Geschichte hielt sich allerdings nicht lang, weil einer der Eingeweihten ein Kunstkritiker war, der sie im Independent bekannt machte; die New York Times folgte sofort und meldete den Schwindel auf der ersten Seite. Er habe, meinte Boyd später, eine moderne Fabel über den Kunstmarkt präsentieren wollen.

1998 erlebte dieser Markt in Großbritannien und den USA ein wahres Tulpenfieber. Die Preise für Damien Hirst und Tracey Emin explodierten. Nicht zufällig fand die Wiedergeburt Nat Tates im Atelier eines weiteren hochpreisigen Kunstscharlatans statt, bei Jeff Koons, der nicht eingeweiht war.

2002, vier Jahre nach dem Nat-Tate-Jux, brachte Boyd seine Romanbiografie "Eines Menschen Herz" über den fiktiven britischen Schriftsteller Logan Mountstuart heraus, in dessen Tagebuch Nat Tate ebenfalls auftauchte. Gab es ihn am Ende doch? Ist er womöglich gar nicht ertrunken? Auf einer Auktion bei Sotheby's in London wurde Tates Bild "Bridge No. 114" im Herbst 2011 für 7250 Pfund verkauft.

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