Naher Osten:"Wir trennen nicht, wir brechen Mauern"

Naher Osten: Arm in Arm singen der israelische Popstar Aviv Geffen und der iranische Musiker Shahin Najafi den Hope-Song. 6000 junge Menschen im Conference-Center von Tel Aviv singen den hebräischen Teil mit.

Arm in Arm singen der israelische Popstar Aviv Geffen und der iranische Musiker Shahin Najafi den Hope-Song. 6000 junge Menschen im Conference-Center von Tel Aviv singen den hebräischen Teil mit.

(Foto: Michael Bause)

Aviv Geffen ist der größte Popstar Israels, Shahin Najafi ein iranischer Sänger im Exil. Beide werden bedroht, weil sie ihre Länder kritisieren. Was gegen die Angst hilft? Gemeinsam singen zum Beispiel.

Reportage von Uli Kreikebaum

Zwei Tage bevor Shahin Najafi nach Tel Aviv fliegt, sitzt er in seiner mit einem Eisenbolzen verriegelten Mini-Wohnung in Köln und zeigt ein neues Youtube-Video. In dem Clip droht ein iranischer Islamist mit Fistelstimme, er werde Najafi finden und ihm die Kehle durchschneiden. "Ach, nur ein Spinner", sagt der 36-Jährige. Morddrohungen ist Najafi gewöhnt, seit schiitische Ayatollahs im Juli 2012 ein Todesdekret gegen ihn verkündeten. Seitdem kritisiert er die islamische Republik schärfer als zuvor.

In dem Liedtext, den die Ayatollahs als Gotteslästerung ansahen, singt Najafi über den zehnten Imam, einen direkten Vorfahren des Propheten Mohammeds, der ein Leben lang unter Hausarrest lebte und seinen Humor nicht verlor. Er fleht um Naghis Wiedergeburt, singt von "weit gespreizten Beinen der Ergebenen" und "Brüsten aus Silikon und geflickten Jungfernhäutchen". Die Berichterstattung nach der Morddrohung hat ihn international bekannt gemacht. Zur Ruhe gekommen ist er seither nicht. Auftreten kann er nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Mit der Welt ist er vor allem übers Internet verbunden.

Er sagt, er schlafe seit dem Todesurteil wachsam

Er kann nicht still sitzen. Seine Hände zittern leicht. Er sagt, er schlafe seit dem Todesurteil wachsam. Oft träume er, sein Mörder stehe vor ihm und schlitze seinen Bauch auf. Die Bedrohung ist nicht greifbar. Erkennbar ist, dass Najafi die Konfrontation sucht. "Als Künstler, der etwas verändern will, muss ich Kritik üben, Risiken eingehen. Ich muss meine Angst überwinden", sagt er. "Sonst lebe ich dann nicht richtig." Für nicht wenige junge Iraner ist Shahin Najafi ein Revolutionär im Exil.

Aviv Geffen nimmt in Israel eine ähnliche Rolle ein, aber er ist längst auch Teil des Establishments; fast jede seiner Singles schafft es in die Top Ten der Charts. Sein Bandprojekt Blackfield mit Porcupine-Tree-Sänger Steven Wilson wird international geachtet. In seiner Heimat gilt der 43-Jährige als politischer Rebell, seit er 1993 in dem Lied "It's cloudy now" von der "Fucked up Generation" sang, der israelischen Jugend, die keine Hoffnung auf Frieden hegt. Geffen hatte den Militärdienst mithilfe eines Vorwandes umgangen, obwohl er erblich vorbelastet ist: Sein Großonkel Mosche Dajan war Verteidigungsminister während des Sechs-Tage-Kriegs; mit seiner Strategie eines überraschenden Präventivkriegs habe er 1967 die Existenz Israels sichergestellt, glauben viele. Aviv Geffen ist Pazifist. Die linke Jugend liebt ihn, viele Konservative und Ultrareligiöse halten ihn für einen Landesverräter. Auf der Straße wird er um Autogramme gebeten, Fans wollen Selfies mit ihm, von anderen wird er angepöbelt und bespuckt. Immer, wenn er öffentlich eine Rückgabe der Siedlungsgebiete an die Palästinenser fordert, erhält er danach Hassbriefe.

"Mir ist ein bisschen mulmig wegen des Auftritts", sagt Najafi in seiner Kölner Höhle. "Nicht wegen der Israelis, wegen der Palästinenser, den Verbündeten des Irans." In Iran ist jeder Kontakt zu Israelis strikt verboten. Der Gottesstaat betrachtet das Land seit der islamischen Revolution als größten Feind und stellt die Legitimität Israels infrage. Unter der Schah-Herrschaft bis 1979 sprachen Diplomaten noch von einer "Liebesbeziehung ohne Heiratsurkunde": Das nicht-arabische, schiitische Iran galt den Israelis nicht nur wegen seines Ölreichtums als natürlicher Verbündeter unter vornehmlich sunnitischen und arabischen Nachbarn. Ayatollah Chomeini, Staatsoberhaupt nach der iranischen Revolution, behauptete, der Islam habe seit jeher unter den Juden gelitten. Israel bezeichnete er als Brückenkopf des US-Imperialismus. Seit Chomeini ist jede öffentliche Äußerung zum Feindesland brisant. Geffen hat im Internet bekannt gemacht, dass Najafi sein Gast sein wird. In Tel Aviv ist das Konzert seit Wochen plakatiert, mehr als 6000 Menschen kommen. Najafi hat zuletzt in Wien vor ein paar Hundert Fans gespielt. In Iran kämen wohl Zehntausende, wenn ein Konzert denn erlaubt wäre.

Am Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv werden Najafi und seine Freundin Leile empfangen wie Staatsgäste

In seinem 14-Quadratmeter-Zimmer befindet sich kein Schrank, kein Regal, kein Bild. Nur eine Couch, ein kleiner Tisch, seine Gitarre, ein Verstärker, Büchertürme, sein Smartphone, ein Ladekabel. Er ist immer auf dem Sprung. Er hat eine Greencard für die USA beantragt, dort lebt seine Freundin Leile. Bislang ist sie nicht bewilligt, obwohl er Deutscher ist. Er möchte eigentlich nicht in seinem Versteck fotografiert werden, die Wohnung ist ihm unangenehm. "Guckt mal", sagt er und zeigt sein Smartphone-Display. "Jeder Song meines neuen Albums "Radikal" wurde in der ersten Woche über eine Million Mal abgerufen. Vor allem im Iran. In Deutschland verdiene ich damit kaum Geld."

Auf der Reise trägt er Baumwolljackett, Schal und schwarze Sonnenbrille. Am Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv werden Najafi und seine Freundin Leile empfangen wie Staatsgäste. Geffen lässt sie direkt am Flugzeug abholen. Yael, eine sommersprossige Frau aus Geffens Crew, ist in den fünf Tagen für Najafis Wohl zuständig. Er hat einen Fahrer und wann immer er will einen Bodyguard. "Sag einfach, was du vom Land sehen möchtest", sagt Yael. "Jerusalem wäre cool", sagt Najafi, "die Grabeskirche, die Al-Aksa-Moschee, die Klagemauer, das wäre unglaublich."

In den Betonruinen vor dem Hotel steht Najafi im staubigen Regen. Er sieht Jungs und Mädchen in Militäranzug, die lachen und kiffen, Hipster mit Mac-Books, Jogger, Junkies, Militärhubschrauber. "Die Stimmung ist ein bisschen wie im Iran", sagt er. Die Jugend ist feierwütig und bildungsbeflissen, sehnsüchtig nach Erneuerung und Frieden.

Iran erkennt Israel nicht an, Israel fühlt sich von Irans Atomprogramm bedroht. "Aber ist es naiv, Gemeinsamkeiten zu entdecken, statt Angst zu schüren?", fragt Najafi. "Die Menschen im Iran leben unter Propaganda, was Israel betrifft. Netanjahu macht Wahlkampf mit Angstmache vor dem Iran. Das führt dazu, dass die Menschen Angst voreinander haben. Ein Leben unter Angst ist absurd." Er kennt sich damit aus.

Probe im Papaito, einem ranzigen Tonstudio in Tel Aviv. Aviv Geffen, fettige Haare, Jogginghose, umarmt Najafi. Najafi zieht seine Strickjacke aus, sagt, dass er für Geffens Lied "Good Morning to Iran" einen eigenen Refrain auf Farsi mitgebracht hat. Es geht in dem Song darum, wozu es führen kann, wenn Religion Politik macht. Nach zwei Durchläufen ist das Lied konzertreif. Beim Hope-Song, einem von Geffens Liedern, singt Najafi "meine Welt besteht nur aus Schmerz und Traurigkeit", Geffen singt, "ich tröste dich und gebe dir Hoffnung".

Najafi windet sich vor dem Mikro und zuckt wie unter Schmerzen. "Du hast unglaubliche Kraft", sagt Geffen, "die Menschen werden ausrasten." Leile macht ein Foto und postet es auf Instagram. Drei Minuten später zeigt Najafi die Reaktionen: Iranische Marxisten bedrohen ihn. "Es ist gefährlich", sagt Geffens Managerin. "Aviv lacht nur, wenn ich ihm sage, dass ich Angst vor dem Auftritt habe." Das Tonstudio ist nicht bewacht. Die Managerin telefoniert. "Sollen wir Jerusalem canceln?", fragt sie Najafi. "Ein Bodyguard wäre gut." "Du bist in Israel sicherer als in Deutschland", sagt Geffen. "Aber du kriegst einen."

"Nach Israel zu kommen ist für mich wie nach Hause zu kommen."

Naher Osten: Unser Bild zeigt Geffen im Fernsehstudio vor der Aufzeichnung von "The Voice Israel", in der er in der Jury sitzt.

Unser Bild zeigt Geffen im Fernsehstudio vor der Aufzeichnung von "The Voice Israel", in der er in der Jury sitzt.

(Foto: Michael Bause)

Nach der Probe geben Najafi und Geffen eine Pressekonferenz. Die Washington Post ist da, der Fernsehsender NBC, die Nachrichtenagentur AP. Najafi sagt: "Nach Israel zu kommen ist für mich wie nach Hause zu kommen." Geffen sagt: "Wir wollen der Welt etwas hinterlassen. Wir werden eine Single aufnehmen und weitere Konzerte geben. Shahin ist einer der mutigsten Künstler, die ich je kennengelernt habe. Ich gelte in Israel als Rebell, aber Shahin ist viel verrückter als ich."

Beide Künstler rauchen viel und pflegen das Extravagante

Geffen redet leiser als Najafi, er ist schmächtiger und kleiner. Er, einer der größten Popstars Israels, hat gut 100 000 Facebook-Fans, Najafi, der Outlaw, mehr als eine Million. Geffen kommt aus einer einflussreichen Familie, sein Vater Jonathan ist ein bekannter linker Publizist, sein Schwager Etgar Keret ist ein wichtiger Schriftsteller. Najafi stammt aus einer Arbeiterfamilie, unterste gesellschaftliche Schicht in Iran. Beide rauchen viel und pflegen das Extravagante. Geffen trägt bei Auftritten Kajal und Glitzer, Najafis Körper ist mit Tätowierungen übersät. Als es um Heimat geht und Geffen von Israel schwärmt, verdüstert sich Najafis Miene: "Ich beneide Aviv", sagt er, "ich habe keine Heimat mehr, seit ich aus dem Iran geflohen bin." Das war 2005, nachdem er zu drei Jahren Gefängnis und 100 Peitschenhieben verurteilt worden war.

Manche sagen, Najafi habe die Todesdrohung genutzt, um populärer zu werden. Personenschutz hielt die deutsche Polizei nur in den Monaten nach der Todesdrohung für nötig. Die Polizei spricht auch nicht von einer "Fatwa" einem Religionsgutachten, mit dem Ayatollah Chomeini 1989 den Schriftsteller Salman Rushdie zum Tode verurteilte, sondern von einer "Estefta", da die Bedrohung nicht von politischen, sondern lediglich von religiösen Würdenträgern ausgesprochen wurde. Bürokratisch mag das einen Unterschied ausmachen.

Dutzende Hassmails und Drohvideos hat Najafi in den bald fünf Jahren seit dem Blasphemie-Urteil erhalten. Er sagt: "Ganz ehrlich? Ich glaube, dass sie mich irgendwann töten werden. Aber was soll ich machen? Ich bin Künstler und kann mein Maul nicht halten." Die deutsche Polizei hält ihn aktuell nicht für gefährdet. Aber viele Musiker aus Najafis Band und auch sein Manager haben aufgehört, für ihn zu arbeiten, weil sie Angst hatten. Immer wieder fordert Najafi in seinen Liedern die Gleichberechtigung der Frau, die Reformation des Islam, eine Entfesselung der verängstigten iranischen Gesellschaft, Revolution. Er sei in seiner Kritik zu laut, zu verletzend, sagen viele. Er kann auch leise. "Angst beherrscht den Geldmarkt, Angst bestimmt die Religion. Angst vor dem IS und Terror haben alle. Angst kommt daher, dass wir alles haben wollen: Geld, Glück, Sicherheit, ewiges Leben", sagt er. "Aber wir dürfen uns von der Angst nicht beugen lassen. Wir müssen sie überwinden. Dann sind wir frei." Er spricht manchmal wie Papst Franziskus.

Sie denken ähnlich radikal, sie sind beide traumatisiert

Shahin Najafi und Aviv Geffen haben sich nah gefühlt, als sie sich im November 2016 in Mailand zum Mittagessen trafen, nachdem sie zufällig über einen Journalisten voneinander gehört hatten. Sie denken ähnlich radikal, sie sind beide traumatisiert. Geffen stand neben Jitzchak Rabin, als der damalige israelische Ministerpräsident 1995 nach einer Friedenskundgebung vor 150 000 Menschen in Tel Aviv erschossen wurde. Der Mörder hatte sich als Geffens Fahrer ausgegeben. Seine Musik hat Geffen seit dem Mord an Rabin der Versöhnung verschrieben und der Kritik an abgrenzender Territorialpolitik.

Anfangs hat er für seine auch militärkritische Haltung Todesdrohungen erhalten, inzwischen kritisiert er Regierungschef Netanjahu jede Woche in der Talentshow "The Voice Israel", in der er einer der Juroren ist. In der deprimierenden Kulisse des Fernsehstudios von "The Voice" sagt er: "Natürlich gibt es unfassbare Ungerechtigkeiten und Schmerzen auf beiden Seiten. Trotzdem glaube ich, dass wir alle Menschen sind, die einfach friedlich leben wollen." Geffen wird vorgeworfen, er lebe in einer Blase. Er sagt: "Ich glaube, die Leute, die nicht an Frieden glauben, leben in einer Blase." Geffen sagt, er habe oft palästinensische Musiker gefragt, ob sie mit ihm auftreten wollen, "aber die Angst ist wohl zu groß, sie müssen sich mehr vor Fanatikern fürchten als ich."

In Jerusalem ist ein Bodyguard an Najafis Seite. Vor der Grabeskirche zieht er die Schuhe aus, schnappt sich ein Holzkreuz, schultert es und geht los. Er hat einen Hang zur Inszenierung. Eine halbe Stunde später steht er mit Kippa auf dem Haupt inmitten von Hunderten orthodoxen Juden vor der Klagemauer und schweigt.

Wenn man ihn später im Suk mit dem Vorwurf konfrontiert, religiöse Gefühle zu verletzen, sagt er: "Kunst versteht keine Grenze, glaube ich." Er fühle sich oft missverstanden. "Es stimmt nicht, dass ich gegen Religion bin. Ich habe auf jüdische und islamische Musik den Koran gerappt. Ich liebe Bach - bei Bach geht es immer um Gott! Ich respektiere jede Art von Religion - solange sie nicht mit Gewalt durchgesetzt wird oder von der Politik missbraucht wird." Als Jugendlicher war Najafi Koranrezitator und wollte Imam werden. "Je mehr ich las, desto mehr hat mir die Religion als Staatsdoktrin Angst gemacht."

Drei Stunden vor Konzertbeginn im Conference-Center von Tel Aviv steht Najafi ein Schweißfilm auf der Stirn. Er hat sich erkältet. Er tigert in seiner Künstlergarderobe herum und übt die Botschaft ein, die er auf Englisch verlesen wird: "Zu allen Trumps und Netanjahus: Hört auf, Menschen zu trennen, bevor es zu spät ist. Wir trennen nicht, wir brechen Mauern."

Geffen und Najafi singen den Hope-Song, Arm in Arm. 6000 junge Menschen singen den hebräischen Teil mit. Najafis Rede wird bejubelt. In den sozialen Netzwerken bedanken sich Hunderte Fans, ein paar drohen und verwünschen die zwei. Die Musiker sind zufrieden. "Es geht jetzt darum, einen gemeinsamen Song zu machen", sagt Geffen. "Wir werden weiter gegen die Angst ansingen." Ende Mai wollen sie in Berlin spielen, auch wenn die Managerin des Israelis das nicht garantieren will. "Tel Aviv war der Anfang. Ich hoffe, dass Bob Geldorf, Peter Gabriel oder Brian Eno uns für eine gemeinsame Single unter ihren Schirm holen", sagt Geffen. Najafi wäre schon zufrieden, wenn es weitergeht. Die Zusammenarbeit, und: sein Leben.

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