Süddeutsche Zeitung

Naher Osten:Sticken gegen Israel

  • In Birzet im Westjordanland steht das palästinenische Nationalmuseum.
  • In der ersten Ausstellung mit dem Thema "Jerusalem" gab es erwartbare Propaganda. Die zweite Ausstellung rückt jetzt aber die Schicksale palästinensischer Näherinnen in den Fokus.
  • Sie erzählt die Geschichte der Stickereien in Palästina als eine Geschichte von kämpferischen Frauen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Hin und wieder gibt es braune Hinweisschilder. Als die Häuser immer weniger und die Asphaltflecken auf der Straße immer spärlicher werden, bleibt Mahmud Abu Hasna lieber stehen. Der Taxifahrer fragt Studenten, die zur Universität Birzeit eilen, nach dem Weg. Erst beim dritten hat er Glück, das palästinensische Nationalmuseum ist nur noch wenige Hundert Meter entfernt. Das imposante Gebäude des irischen Architekten Heneghan Peng schmiegt sich hinter dem Unicampus in die hügelige Landschaft.

Eigentlich ist Ramallah das politische und kulturelle Zentrum des Westjordanlands. Aber weil hier, 15 Kilometer entfernt, mehr Platz war, wurde der Bau am Rande von Birzeit aus dem Boden gestampft, mit reichlich Grünfläche rundherum und vielen Parkplätzen, die leer stehen. Es geht nicht nur um einen Bau mit Ausstellungsfläche, sondern um sehr viel mehr: Das Museum "soll die Identität des palästinensischen Volkes präsentieren und der ganzen Welt mitteilen: Wir sind hier und werden weiterhin hier sein, um unseren unabhängigen Staat zu errichten", sagte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas bei der Eröffnung im Mai 2016.

Von einer Staatsgründung ist Palästina noch weit entfernt

Es ist ein Nationalmuseum für ein Volk ohne Staat, der vor genau 30 Jahren, am 15. November 1988, von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Algier ausgerufen wurde. Die Palästinenser begehen an diesem Tag ihren Nationalfeiertag. 137 Länder haben den Staat Palästina inzwischen anerkannt, dessen Gründer das von Israel 1967 besetzte Westjordanland und den Gazastreifen mit Ostjerusalem als Hauptstadt beanspruchen.

Während man der Staatsgründung noch keinen Schritt nähergekommen ist, gibt es nach zwanzig Jahren Planung und drei Jahren Bauzeit immerhin dieses Museum. Nach der Eröffnung stand der 25 Millionen Euro teure Bau, der weitgehend von privaten Geldgebern finanziert wurde, erst einmal leer - 15 Monate lang. Wegen des Konzeptstreits hatten der erste Museumsdirektor und mit ihm gleich mehrere Mitarbeiter kurz vor dem Start gekündigt.

Die erste Ausstellung war die übliche Propaganda

Das Museum soll viele Ansprüche erfüllen, wie Menschenrechtsaktivistin Reem Abdul Hadi erklärt: "In diesem Museum soll sich alles um die Identität der Palästinenser drehen. Inzwischen haben wir die vierte und fünfte Generation, die nicht weiß, was Heimat wirklich bedeutet und für die der Begriff nur eine Idee ist."

Die erste, im August 2017 eröffnete Ausstellung beschäftigte sich mit Jerusalem. Sie sollte den Anspruch auf die Hauptstadt untermauern - was auf erwartbare Weise in der oft üblichen Propagandaform passierte. Die zweite Schau, die bis 31. Januar zu sehen ist, trägt den Titel "Werke der Liebe: neue Annäherungen an palästinensische Stickarbeiten". Identitätsfindung durch Stickereien? Was nach einer langweiligen Darbietung von Handarbeitsstücken klingt, entpuppt sich als höchst politische Auseinandersetzung und als lehrreich über die Emanzipationsentwicklungen der Palästinenserinnen. Es wird deutlich, wie wichtig der Verkauf dieser Stickereien für die Frauen war und ist, damit sie in dieser patriarchalisch geprägten Gesellschaft ihr eigenes Geld verdienen können.

Bis in die Vierzigerjahre hatte jeder Ort in Palästina eigene Formen der Stickerei. Frauen, die sich auf den Marktplätzen in Jerusalem, Ramallah oder Bethlehem trafen, konnten gegenseitig sofort an der Kleidung erkennen, aus welchem Dorf sie kamen. Nach der Staatsgründung Israels 1948 flohen viele Palästinenser in die Nachbarländer, dort entwickelte sich die Handwerkskunst anders weiter als in der Herkunftsregion.

Über die Geschichte der palästinensischen Stickerei hat die in Beirut lebende Britin Rachel Dedman im Auftrag des Museums zwei Jahre recherchiert und dann die Ausstellung kuratiert. Sie hat das Westjordanland und den Gazastreifen bereist und sich in Jordanien und Libanon umgesehen, wohin die meisten Palästinenser damals geflohen sind. Die meisten ihrer Nachkommen, die inzwischen rund fünf Millionen ausmachen, werden von der UN noch immer als Flüchtlinge eingestuft. Videoaufzeichnungen ihrer Gespräche öffnen den Blick auf den gesellschaftlichen und politischen Kontext der ausgestellten Stücke, die von einfachen Alltagskleidern bis zu kostbaren Festtagsgewändern reichen.

Stickereien als politische Aussage

Die Stickereien tragen als Teil der Volkskunst nicht nur zur Ausformung einer palästinensischen Identität bei, sondern zeigen auch, wie Frauen durch die Ereignisse politisiert wurden. Schon die Nakba, die Katastrophe, wie Palästinenser den Tag der Staatsgründung Israels und die Vertreibung von rund 700 000 Palästinensern nennen, hatte Einfluss auf ihre Arbeiten.

Weil die Israelis zur Zeit der ersten Intifada nach 1987 palästinensische Flaggen sofort konfiszierten, begannen die Frauen, nationale Motive auf die Kleidung zu sticken: Der Felsendom war eine beliebte Vorlage. Sie bestickten auch ganze Kleider in den palästinensischen Farben grün, weiß, rot und schwarz.

Die Näherinnen wurden als Kämpferinnen wahrgenommen

Frauen malten sich auch die Silhouette eines vereinten Palästinas auf die Dekolletés und zeigten damit auf ihrem Körper ihre politischen Ansichten. "Die Näherinnen wurden als politische Kämpferinnen wahrgenommen, die durch ihr Handwerk einen Beitrag zum Widerstand leisteten und darüber hinaus an der wirtschaftlichen Zukunft des Landes arbeiteten", so Dedman.

Der Taxifahrer, der an diesem Morgen überhaupt erst von der Existenz des Nationalmuseum erfahren hatte und dann der zweite Besucher an diesem Tag in der Ausstellung war, nahm jedenfalls eine Botschaft mit nach Hause: "Ich weiß jetzt, dass die Stickarbeiten meiner Frau für den Staat Palästina wichtig sind."

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Quelle:
SZ vom 15.11.2018/csi
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