Nachruf:Zum Tod der Sopranistin Mirella Freni

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Die italienische Sopranistin Mirella Freni (1935– 2020) war über Jahrzehnte einer der gefeiertsten und geliebtesten Opernstars der Welt. (Foto: imago/Leemage)

Sie war eine der bestimmenden lyrischen Sopranstimmen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Von Helmut Mauró

Manchmal sind es ja die kleineren Nummern, an die man sich erinnert. Ein vibrierend intimes, intensives "Ave Maria" aus Giuseppe Verdis großer Oper "Othello" etwa, das ganz allmählich zur alles umfassenden Arie anwächst. Mirella Freni konnte das wie wenige, ihr bisweilen dramatisch angeschärfter lyrischer Sopran vereinte die melodische Spannweite und die Gefühlstiefe gleich mehrerer Stimmen. Und doch hatte man immer den Eindruck, sie sei stets ganz bei sich. Ungeteilt, nur so weit zerrissen, als es die Bühnenrolle erfordert. Deswegen empfand man ihre Darbietungen auch nicht einfach nur überzeugend oder glaubwürdig, sondern man fühlte sich gleich etwas näher herangerückt an das Geschehen, an die Person, an die Idee einer Arie. Aber klang das "dove sono" aus Wolfgang Amadé Mozart nun zu dramatisch für die Gesangsästhetik der Zeit?

Solche Fragen zu stellen blieb eigentlich kein Raum, wollte man nicht das Eigentliche versäumen. Und das war eine nicht nur technisch und klanglich erstaunliche, sondern schlichtweg überwältigende Stimme. Kein Wunder, dass Herbert von Karajan sie - wie andere große Talente - schon früh entdeckte und förderte. Sie war nicht nur höchst bühnenpräsent, sondern - für eine Opernkarriere nicht ganz unwichtig - auch ensembletauglich. Mit Cesare Siepi, Nicolai Ghiaurov und anderen Sängerlegenden agierte sie auf der Bühne, mit Nicolai Gedda bildete sie ein vielfach gefeiertes Traumpaar, und selbst dem großen Pavarotti, dem Freund aus Kindertagen, verlieh sie in Duetten noch mehr Glanz, als ihm die Partitur etwa in "sono andati" aus Giacomo Puccinis "La Bohème" zugestand.

Die Hauptrolle dieser Oper blieb eines ihrer Paradestücke, sie sang die tragische Figur selbst in konzertanten Aufführungen so, als sei sie selber jene "Mimi" und geradewegs und gerade noch der Gosse entstiegen. Immerhin, ganz fremd war ihr der unglamouröse Teil dieser Welt nicht. Freni stammte aus einer Arbeiterfamilie in Modena, verdankte die erste Ausbildung dem Onkel Dante Arcelli. 1955 debütierte sie am heimischen Teatro Comunale, wechselte bald an die Niederländische Oper, machte als Susanna in Mozarts "Figaro" auf sich aufmerksam. Auch eine ihrer großen Rollen, zu denen Zerline aus "Don Giovanni" gehört, Nanetta in Verdis "Falstaff" und Violetta in "La Traviata", Micaela in Bizets "Carmen", Tatjana in Tschaikowskys "Eugen Onegin" und weitere Partien.

Der entscheidende Karrieresprung gelang ihr 1963 in der Rolle der "Mimi" an der Mailänder Scala unter Leitung von Herbert von Karajan. Dieser Auftritt brachte sie auch zu anderen großen Dirigenten und Orchestern, an die großen Opernhäuser der Welt. Und mehr noch: in das Bewusstsein und die Herzen einer riesigen treuen Opernfangemeinde, von der sie sich erst 2005 als Aktive verabschiedete; da war sie 70. Ihren 85. Geburtstag am 27. Februar hat sie nun nicht mehr erlebt; sie verstarb am vergangenen Sonntag in ihrem Haus in Modena.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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