Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Willy Hochkeppel:Fröhliche Aufklärung

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In zahlreichen Radiosendungen, Texten und in seinen Büchern verband Willy Hochkeppel Philosophie einzigartig mit Unterhaltung. Jetzt ist er mit 94 Jahren gestorben.

Von Thomas Meyer

Dass jemand eine Instanz gewesen sei, lässt sich leicht behaupten. Im Falle von Willy Hochkeppel fällt es tatsächlich leicht, denn er war eine, was nicht nur die Leser dieser Zeitung und die Hörer des Bayerischen Rundfunks bestätigen werden. Wie nicht wenige andere seiner Generation wollte sich der 1927 in Düsseldorf Geborene nach dem Krieg die gestohlene Zeit zurückholen. Da Hochkeppel gerne Jazz hörte, gründete er Ende der vierziger Jahre eine Zeitschrift gleichen Namens. Er schrieb dann für verschiedene Rundfunkanstalten und Zeitungen, studierte Theaterwissenschaften in München und wurde 1957 mit einer Arbeit über die veränderte Zeitwahrnehmung im modernen Theater promoviert. Friedrich Dürrenmatt war einer seiner Helden.

Kurze Zeit später stieß er zum BR, wo er zunächst die Sendung "Aus dem literarischen Leben" prägte, um dann ins bereits legendäre und bis heute unverzichtbare "Nachtstudio" zu wechseln. Hier interviewte der junge Hochkeppel etwa Karl Jaspers, diskutierte mit zwei anderen Münchner Instanzen, dem Germanisten Walter Müller-Seidel und dem SZ-Redakteur Joachim Kaiser, die "Probleme der Literaturwissenschaft" und beschäftigte sich mit der geistigen Entwicklung der Bundesrepublik.

"Das Dilemma der Philosophie" legte er 1963 in einer vielgehörten Sendereihe offen. Dass die Philosophie nicht mehr ihre Zeit in Gedanken fassen könne, sie als Orientierungskraft "im Schatten der Wissenschaft" zu verschwinden drohe, diese Diagnose ließ ihn zeitlebens nicht mehr los. 1975 war aus dem "Dilemma" der "Mythos Philosophie" geworden. Als im Jahr darauf das gleichnamige, bis heute lesenswerte Buch erschien, war der Aufschrei bei den Fachphilosophen groß, nicht minder aber die Anerkennung für die Genauigkeit, mit der Hochkeppel den Ideenartisten ihre Selbstgefälligkeit nachgewiesen hatte.

Wachsamkeit, das wusste der Augenzeuge des Düsseldorfer Synagogenbrandes 1938, ist eine Bürgerpflicht

Doch Kritik wurde in den über 2000 Sendungen, die er für den BR machte, nie um ihrer selbst willen geübt, zumal er über Jahrzehnte die Themen, die ihm wichtig waren, in Büchern festhielt und damit der Öffentlichkeit zur Prüfung vorlegte. Erinnert sei nur an die brillante Reihe "Soziologie zwischen Kalkül und Prophetie" und die Auseinandersetzungen zwischen alter und neuer Linker Anfang der siebziger Jahre, die sich unter dem Stichwort "Kulturindustrie" ins Gedächtnis der Hörer und Leser einschrieb. Was Hochkeppel in all seinen Sendungen und Veröffentlichungen betrieb, war rationale, fröhliche Aufklärung. Ob er Marilyn Monroe porträtierte oder die Hörer für 30 Minuten ins "Labyrinth" schickte und mit ihnen Denkspiele veranstaltete oder die schnell berühmt gewordenen "Ferngespräche" inszenierte, stets hatte Hochkeppel den Anspruch Vernunft und Spiel miteinander zu verbinden. Wer hätte es sonst geschafft, dass der so ernste Carl Friedrich von Weizsäcker sich "live" mit Platon unterhalten wollte?

Als Peter Glotz 1974 eine "alternative Heldengalerie" der Deutschen herausgab, schrieb Hochkeppel darin einen bis heute aktuellen Artikel zu Karl Popper: über die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Wachsamkeit, das wusste der Augenzeuge des Düsseldorfer Synagogenbrandes 1938, ist eine Bürgerpflicht.

1964 veröffentlichte Hochkeppel erstmals in der SZ. Er berichtete aus Wien über ein neu gegründetes Institut, das er mit Princeton verglich. Nach und nach wurde die Zeitung seine zweite publizistische Heimat. Hier hat er mit nicht nachlassender Neugierde fast fünfzig Jahre lang die Philosophie begleitet, stets bestens informiert und immer auf Fairness bedacht. Als 2016 sein letztes Buch erschien - "Philosophische Traktate abseits des Geläufigen" - charakterisierte Julian Nida-Rümelin ihn in der SZ zurecht als leidenschaftlichen Vertreter des Pathos der Nüchternheit und Klarheit. Nun ist Willy Hochkeppel nur wenige Monate vor seinem 95. Geburtstag gestorben.

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