Süddeutsche Zeitung

Erinnerung an Ute Grass:"Die Geschichte wird richtig gut"

Büchermachen mit ihm war immer ein Büchermachen mit ihr: Erinnerungen eines Verlegers an die Künstlerin, Musikerin und Sparringspartnerin Ute Grass.

Gastbeitrag von Gerhard Steidl

"Na, nen Tee und nen Buoterkoken?" So wurde ich zuverlässig von Ute Grass in Behlendorf oder im Sommerhaus auf der dänischen Insel Møn begrüßt, wenn wir uns zur gemeinsamen Arbeit am neuen Buch trafen. Auch wenn Günter am liebsten immer sofort losgelegt hätte, sie wusste, dass man sich nach der Fahrt erst einmal stärken musste.

Unsere Arbeitstreffen begannen immer mit einer Lesung aus dem Manuskript. Ute war die erste Leserin der Texte, erst nach ihrer Durchsicht durfte ich einen Blick hineinwerfen. Meist schwieg sie, wenn Günter erzählte, wie sich die Geschichte weiterentwickeln sollte, doch ich wusste, sie hatte die Fakten, die Realien und die Figuren des Textes fest im Blick.

Mehr zur Person

Gerhard Steidl, geboren 1950 in Göttingen, ist Verleger. Er hat 30 Jahre lang die Bücher von Günter Grass herausgebracht.

Wenn ich fuhr oder auf Møn zu Bett ging, kam sie zu mir und sagte: "Er arbeitet noch dran, die Geschichte wird richtig gut." Gemeint war immer auch, sie arbeitete mit ihm noch daran. Büchermachen mit Günter Grass war immer auch Büchermachen mit Ute Grass, das galt auch, wenn die Manuskriptarbeit abgeschlossen war.

Ein Gehör für falsche Töne, ein Blick für die richtige Gestaltung

Ute war selbst Künstlerin, eine sehr begabte Musikerin. Sie hatte nicht nur ein Gehör für falsche Töne, sondern auch einen Blick für die richtige Gestaltung. Für Günter und mich war sie eine kenntnisreiche, leise, aber beharrlich fordernde Sparringspartnerin, wenn es um Satzspiegel, Schriftgröße, Einband ging. Dass die Werke von Grass in gut lesbarer Schrift, nämlich in der Baskerville 9.5 Punkt, erscheinen, ist auch ihr Verdienst, sie hat sich gegen den Verleger, der, um Papier zu sparen, auch mit 8 Punkt zufrieden gewesen wäre, durchgesetzt.

Ute war immer dabei. Sie begleitete Grass auf all seinen Reisen und ausgedehnten Lesetourneen, blieb aber lieber im Hintergrund. Aber manchmal, so wie auf dem Foto, das ich von den beiden auf Møn gemacht habe, kann man erkennen, wie wichtig sie war. Für Günter natürlich, für ihre Familie und Freunde, aber auch für mich. Grass-Bücher machen ohne Grass? Ohne Ute? Wie soll das gehen? Am Samstag, den 23. April, ist Ute Grass friedlich eingeschlafen. Ich vermisse sie sehr.

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