Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Überragend

Ein Werk im Schatten der Türme: César Pelli, der Architekt der Petronas Towers in Kuala Lumpur, ist gestorben.

Von Gerhard Matzig

Dass der in Argentinien geborene und jetzt in den USA im Alter von 92 Jahren gestorbene César Pelli als Architekt der Petronas Towers in Erinnerung bleibt, ist so logisch wie tragisch. Logischerweise wird jeder Architekt, der das jeweils höchste Haus der Welt erbaut, genau für diesen Superlativ gewürdigt. Der ist jedoch notwendigerweise von temporärer Natur. Die in Kuala Lumpur vor genau zwanzig Jahren eröffneten Zwillingstürme konnten bis zum Bau des "Taipei 101" im Jahr 2004, also nur fünf Jahre lang, als höchstes Gebäude(-Duo) der Welt gelten. Die ornamental wirkenden und plastisch in Minarett-ähnlichen Spitzen auslaufenden Türme, die in enormer Höhe von einer baukonstruktiv kühnen Brücke verbunden sind, überragen Kuala Lumpur um 452 Meter.

Das war ein umstrittener Rekord, denn das höchste Stockwerk befindet sich der überlangen Spitze wegen lediglich auf einer Höhe von 375 Metern. Aber natürlich war und ist das Gebäude vor allem ein Ausrufezeichen. Kuala Lumpur heißt wörtlich übersetzt "schlammige Flussmündung". Sich von diesem Schlamm aus nach einer rasanten Entwicklung in den Himmel ökonomischer Teilhabe zu katapultieren: Darin liegt die Symbolkraft. Pelli sagte 2001 der New York Times: "Einen Wolkenkratzer zu bauen ist das beste Symbol einer aufstrebenden Gesellschaft, um zu beweisen, dass sie ihr Ziel erreicht hat, denn so etwas kann nicht jeder vollbringen. Man braucht dafür Geld und politische Stabilität."

Sein Büro entwarf mehr als hundert Großprojekte, darunter auch viele Kulturbauten

Schon dieser Satz erklärt, warum sich der Westen richtigerweise aus solchem Wettbewerb verabschiedet. Das aktuell höchste Haus der Welt steht heute in Dubai, es ist der Burj Khalifa (828 Meter), der aber schon bald vom Kingdom Tower (1007 Meter) abgelöst werden soll. Übrigens plant man in Basra (Irak) ein dann wiederum höchstes Haus. Im Grunde weiß man, dass der Wettlauf um immer futuristischere Höhenmeter in der Architektur zugleich etwas antiökologisch Überkommenes hat. Deshalb ist der Schatten, den die Petronas-Türme auf das viel komplexere Lebenswerk seines Schöpfers Pelli werfen, auch behaftet mit einer gewissen Tragik. Weltweit entwarf sein in Connecticut ansässiges Büro mehr als hundert, oft preisgekrönte Großprojekte, darunter auch etliche Kulturbauten. Diese Architekturen zeigen, dass Pelli, der sich zum Bauhaus und der klassischen Moderne bekannte, dieses Erbe geschickt in die Gegenwart übersetzte. Das orthogonale Bauen versöhnte er mit dem Formenreichtum der Organik. Technik und Konstruktion waren ihm ebenso wichtig wie Form und Fügung. Er war ein im besten Sinne holistisch, ganzheitlich wirksamer Baukünstler. Die Türme in Kuala Lumpur überragen ein Werk, das im Grunde viel größer ist.

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Quelle:
SZ vom 22.07.2019
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