Nachruf:Triumph und Absturz

Josef Bulva im Hotel Vier Jahreszeiten in München, 2018; Josef Bulva im Hotel Vier Jahreszeiten in München, 2018

Josef Bulva (1943 – 2020) versammelte viele Talente in sich. Doch im Zentrum stand das Klavierspiel, das er skrupulös perfektionistisch beherrschte.

(Foto: Catherina Hess/Süddeutsche Zeitung Photo)

Er hatte viele Talente, aber im Zentrum stand das Klavierspiel. Zum Tod des Pianisten Josef Bulva.

Von Wolfgang Schreiber

Er war der Klaviervirtuose mit der schillerndsten Existenz, ruhelos in mehreren Welten. Die pianistische Hochbegabung gab Josef Bulva einen Lebensweg vor, der von frühen Triumphen über schwere Abstürze bis zur überraschenden Wendung einer späten Karriere führte. Ein umstrittener Künstler, nicht leicht zu verstehen: Bulvas eiserne Energie war gepaart mit einem Selbstbewusstsein, in dem sich Risse der Fragilität auftaten.

Geboren 1943 in Brünn, in der damaligen Tschechoslowakei, wurde er rasch als Wunderkind berühmt. Besessenes Klavierüben führte dazu, dass er bald Liszt- und Chopin-Etüden konzertreif sowie als 13-Jähriger die extrem schwierigen Paganini-Variationen von Brahms spielte. Mit einundzwanzig wurde er "Staatssolist" der ČSSR, gefeiert auch in der Sowjetunion. Nach schwerem Unfall mit langem Krankenhausaufenthalt emigrierte Bulva 1972 in den Westen, ins Großherzogtum Luxemburg.

In München aber fand er den künstlerischen und gesellschaftlichen Lebensmittelpunkt, dort versammelte er mit Charme Gesprächspartner und Freunde aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft um sich. Bulvas Münchner Geburtstagspartys waren legendär. Nur, er brauchte doch die großen Säle und Plattenstudios, um am Klavier zu beweisen, dass er zu den intelligentesten Musikern der Gegenwart zählte. Für den Kritiker Joachim Kaiser war Josef Bulva schlicht der "Pianist des wissenschaftlichen Zeitalters".

Den Klavierkonzerten von Tschaikowsky und Brahms, Liszt und Prokofjew, Sonaten Mozarts, Beethovens, Skrjabins widmete er seine skrupulöse Kunst genauester Prägnanz. Und blieb nicht unumstritten. Immerzu befragte er die Noten und Partituren, tüftelte an musikalischer Logik, Artikulation, Dynamik, ließ dabei manchen Beobachter die spontane Emotionalität des Musizierens vermissen - das Espressivo! - und die perfekte Kühle des klingenden Zugriffs beklagen. Mit ihm zu streiten konnte sich lohnen.

Es folgte die Katastrophe: Im März 1996 stürzte Bulva auf Glatteis und verletzte die linke Hand so unglücklich an einer Glasscherbe, dass Fachärzte die Karriere für beendet hielten. Bulva übersiedelte nach Monaco, behielt in München eine "Residenz" im Hotel Vier Jahreszeiten, arbeitete fortan als Finanzinvestor.

Doch der Musiker gab nicht auf: Unentwegt trainierte er die linke Hand, unterzog sich etlichen Operationen - und es gelang. 2009 feierte er sein Comeback in einem Konzertsaal nahe Augsburg, mit Beethoven, Liszt und Chopin. Es folgten Konzerte in München, Stuttgart oder Berlin, TV-Auftritte, Interviews, es entstanden Plattenaufnahmen, die letzte CD erschien neulich (SZ vom 4. August). Im Booklet schrieb er den Text selbst, darin findet sich der Bulva-Satz: "Empfindung ist die Hölle für die Wissenschaft, kann aber, manchmal, in der Tonkunst zum Himmel führen."

Seine zweite Karriere verlief kompliziert, Josef Bulva kämpfte um seine künstlerische Gegenwärtigkeit, Anerkennung, die schwächer erschien als die Neugier auf eine "Wunder"-Genesung. Er blieb ein Außenseiter. Die Gesundheit, das Alter, zuletzt schwere Probleme mit Schulter und Armen zehrten am Lebenswillen, seiner pianistischen Berufung und Zukunft. Josef Bulva starb, wie erst jetzt bekannt wurde, am 12. August in seiner Wahlheimat Monaco. Er wurde 77 Jahre alt.

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