Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Studieren als Fest

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Die 1930 geborene Historikerin Laetitia Boehm war eine der der ersten Geschichtsprofessorinnen in der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch rückte sie Genderfragen nie ins Zentrum ihrer mediävistischen Forschungen.

Von Winfried Müller

Zwischen 1946 und 1960 habilitierten sich in der Bundesrepublik gerade einmal neun Historikerinnen. Eine davon war 1959 Laetitia Boehm, Jahrgang 1930, mit ihrer Studie zum Begriff der Historia im frühen und hohen Mittelalter. 1969 wurde sie mit dem Schwerpunkt Bildungs- und Universitätsgeschichte Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie war damit eine der ersten Geschichtsprofessorinnen in der Bundesrepublik Deutschland. Dass sie zu den ersten Frauen gehörte oder in manchen Institutionen die erste Frau überhaupt war, die sich im Fach Geschichte in vorderster Reihe etablierte, war für sie kein Thema. Sie wollte sich nie in einer Sonderrolle sehen, emanzipatorische Attitüden waren ihr fremd, ja suspekt. 1958 veröffentlichte Laetitia Boehm ihren Aufsatz über die schwierigen Anfänge des akademischen Frauenstudiums in Deutschland, der bis heute zitiert wird, wenn es um gendergeschichtliche Perspektiven der Wissenschaftsgeschichte geht. Das Thema ihrer Pilotstudie zum Frauenstudium hat sie aber nicht weiterverfolgt, und ihre Habilitanden waren allesamt männlichen Geschlechts.

Die mittelalterliche Historiografie, die Geschichte Burgunds, das Bildungswesen in Mittelalter und Früher Neuzeit, die Universitäten in der Sattelzeit um 1800 - das waren nur einige der Themen, mit denen sie ihre Arbeitsfelder Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte und Wissenschaftsorganisation umkreiste. Und so wie sie selbst Vielseitigkeit praktizierte, so gab sie diese weiter. Strenge thematische Vorgaben waren ihr fremd. Vielmehr ließ sie ihren Schülerinnen und Schülern am Lehrstuhl für Bildungs- und Universitätsgeschichte Raum für die Entwicklung eigener Ideen und Arbeitsfelder.

Dass in der vormodernen Universität die Einheit von Fest und Studienleben in den Statuten fixiert worden war, war eine Idee, die Laetitia Boehm gefallen hat.

Neben dem Lehrstuhl leitete sie lange das Archiv der LMU München. Dass das Zusammenspiel von Institut und Archiv wenige Jahre nach Emeritierung Laetitia Boehms dann durch die Einziehung der Professur 2002 Sparzwängen zum Opfer fiel, ist nach wie vor ein schmerzhafter Einschnitt für die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte nicht nur in München.

Im außeruniversitären Bereich war es neben der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, der sie 1990-93 als Präsidentin vorstand, vor allem die Görres-Gesellschaft, der ihr besonderer Einsatz galt. Ab 1974 leitete sie 26 Jahre lang die Sektion Geschichte und sie betreute über 20 Jahrgänge des Historischen Jahrbuchs der Görres-Gesellschaft, die ihr 2001 ihren Ehrenring verlieh. An weiteren hohen Auszeichnungen wie dem Bayerischen Verdienstorden oder dem Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst hat es Laetitia Boehm nicht gefehlt. Auch darüber hat sie nie viel Aufhebens gemacht.

Was ihr wichtiger war, war der funktionierende Sozialraum der Universität, den sie qua Profession erforschte und den sie mit Leben erfüllte; sie lud gerne und großzügig ein. Dass in der vormodernen Universität die Einheit von Fest und Studienleben in den Statuten fixiert worden war, war eine Idee, die ihr gefallen hat und von der aus sich der Bogen schlagen lässt zu ihrem 1972 erschienenen Aufsatz zum "actus publicus", zur öffentlichen Präsentation und gesellschaftlichen Kommunikation der Universitäten, der im Zeichen des kulturwissenschaftlichen Interesses an symbolischer Repräsentation und performativen Akten gleichfalls nach wie vor zitiert wird. Festzüge und Promotionsfeiern wurden hier ebenso behandelt wie Universitätsjubiläen, und nicht zuletzt wurde die gemeinschafts- und kontinuitätsstiftende Funktion des Totengedächtnisses betont, das in dankbarer Erinnerung nun ihr selbst gilt. Am vergangenen Dienstag ist Laetitia Boehm in München gestorben.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2018
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