Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Schoschana Rabinovici gestorben

Erinnerungen ans Unfassbare - die Holocaust-Überlebende Schoschana Rabinovici.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Ihre Stärke war beeindruckend - zeit ihres Lebens für ihre Familie, aber auch für das Publikum. Bei mehr als 25 Aufführungen saß Schoschana Rabinovici kerzengerade auf ihrem Stuhl auf der Bühne. Sie war eine der "Letzten Zeugen". Für diese 2013 erstmals gezeigte einprägsame Produktion hatten ihr Sohn, der Autor und Historiker Doron Rabinovici, und der damalige Direktor des Wiener Burgtheaters, Matthias Hartmann, Lebensgeschichten von sechs Holocaust-Überlebenden verdichtet. Die Burgtheater-Produktion war auch in Deutschland zu sehen. Schauspieler lasen Szenen aus dem Leben der auf der Bühne sitzenden Zeitzeugen, die später mit dem Publikum diskutierten.

Das war anstrengend, aber mit der ihr eigenen Disziplin meisterte Rabinovici auch diese für sie schwierige Aufgabe. Jahrzehntelang hatte sie wie viele andere Shoah-Überlebende nicht über ihre Erfahrungen reden können. Neun Jahre war sie alt, als ihr Vater von den Nazis in einem Wald bei Vilnius im heutigen Litauen erschossen wurde. Mit ihrer Mutter Raja kam sie ins Ghetto. Drei Tage lang musste sie "wie in einem Massengrab" mit rund 180 Menschen zusammengepfercht in einem unterirdischen Versteck ausharren. Zu den unfassbarsten Beschreibungen gehört jene Szene, als ein Vater das Schreien seines Babys aus Angst vor Entdeckung mit einem Kissen dämpfen wollte - und es erstickt.

"Dank meiner Mutter" ist der Titel ihrer 1991 auf Hebräisch und drei Jahre später auf Deutsch erschienenen Autobiografie. Darin schildert Schoschana Rabinovici, wie sie ihrer Mutter und deren waghalsigen Aktionen verdankt, dass sie die Zeit im Ghetto, in den Konzentrationslagern Kaiserwald und Stutthof sowie den Todesmarsch überlebt hat. "Meine Mutter hat gesagt: ,Wir haben unsere Knochen gerettet, jetzt müssen wir unsere Seele retten.' Damals heiß es: ,Schließen wir die Tür.' So haben wir es auch gemacht", erzählte Rabinovici.

Das Buch habe sie geschrieben wegen all jener Frauen im KZ, die ihr damals gesagt haben, sie dürfe das nicht vergessen und müsse davon erzählen. So ist sie mit 60 Jahren zur Autorin geworden, um ein Versprechen einzulösen. Das Buch hätte eigentlich "Die Wunden, die nicht heilen" heißen sollen. Das wäre ihrer Ansicht nach der treffendere Titel gewesen.

Schoschana, die eigentlich Lucienne Suzanne heißt, pendelte zwischen Israel und Österreich. Ihre letzten beiden Lebensjahre verbrachte sie gesundheitlich angeschlagen bei ihrem ältesten Sohn Jaron in der Nähe von Tel Aviv, wo sie mit 86 Jahren starb. Auf ihrer Todesanzeige steht: "Seid von nun an Zeugen unserer Erinnerung."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4554322
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.