Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Schleier aus Geigen

Der deutsche Dirigent und Arrangeur Claus Ogerman hat den Bossa Nova groß und Frank Sinatra cool gemacht. Nun haben sich die Gerüchte bestätigt, dass er mit 85 Jahren gestorben ist.

Von Claus Lochbihler

Auch im Tod scheute Claus Ogerman den großen Auftritt. Schon am 8. März 2016 starb der legendäre Arrangeur, Dirigent und Komponist im Alter von 85 Jahren in München, wo er auch immer wieder gelebt hatte. Gerüchte und unbestätigte Meldungen gab es schon länger. Aber erst am vergangenen Mittwoch bestätigte die Familie gegenüber der SZ seinen Tod.

Dieser heimliche Abtritt passt zu einem Mann, den die Sängerin und Jazz-Pianistin Diana Krall einmal so beschrieb: "Claus Ogerman ist ein leises Genie. Er spricht nicht viel, hat einen ziemlich trockenen Humor, ist unprätentiös, aber immer brillant. All das hört man auch seiner Musik an."

Der Kern seiner Arbeit entstand in den Jahren von 1959 bis 1979, als er Arrangements für rund 200 Künstler schrieb, zu denen die ganz Großen des Jazz, Pop und der brasilianischen Musik gehörten: Dinah Washington, Oscar Peterson, Bill Evans, Stan Getz, Frank Sinatra, Barbra Streisand, Antônio Carlos Jobim, Astrud und João Gilberto. Die Liste ließe sich fast beliebig lang fortsetzen.

Es war ein einzigartiges Klangbild, das Claus Ogerman zum gefragtesten Arrangeur dieser Zeit machte. Keiner schuf solche durchlässigen Orchesterklänge, die selbst einer so zarten Musik wie dem Bossa Nova ihre Leichtigkeit ließen. Streicher und Holzbläser legten sich da oft wie Schleier auf die Musik, ließen die Stimmen schweben und den Melodien ihren Raum. Dabei übertrug er auch immer ein wenig von der opulenten Schönheit und berührenden Tiefe der klassischen Musik in den Jazz, den Pop und den Bossa Nova. Er selbst beschrieb das einmal: "In all meinen Arrangements scheint eine Traurigkeit und Melancholie durch, gegen die ich nichts machen kann."

Als er das erste Mal Jazz hörte, sei das wie ein Hineinhorchen in eine andere Welt gewesen

Hin und wieder kam Ogerman mit dem Arrangieren kaum hinterher. Bis zu 40 Alben orchestrierte er pro Jahr. Dann konnte es vorkommen, dass er im Taxi auf dem Weg ins Aufnahmestudio noch letzte Hand an seine Arrangements legte. Musikalisch sei der Druck gar nicht von Nachteil gewesen: "Meine Partituren waren sehr luftig. Oft sah das auf dem Notenpapier nur wie eine kleine Serenade aus. Aber das hat gut und vor allem transparent geklungen." In den Sechzigerjahren arrangierte er zwar auch viele Hits für Pop- und Teenie-Sängerinnen wie Connie Francis und Lesley Gore. Atlantic Records engagierte ihn für die Alben von Soulsängern wie Solomon Burke und Ben E. King. Für Ogerman waren das allerdings nur Auftragsarbeiten, die "jeder andere auch hätte arrangieren können". Als sein Label 2002 eine aufwendige Retrospektive seiner Arbeit zusammenstellte, wollte Claus Ogerman nicht, dass diese frühen Arrangements in der Box auftauchen.

Viel wichtiger war ihm, dass seine Arbeit als klassischer Komponist gewürdigt wurde. Für diese Arbeit hatte sich Ogerman sogar vom Arrangieren verabschiedet. Er hatte sich ausgerechnet, dass er genügend Geld verdient hatte, um sich bis zum 104. Lebensjahr pro Tag zwei Flaschen Dom Pérignon und zwei Steaks leisten zu können. Genug also, um sich nur noch aufs Komponieren zu konzentrieren.

Der Rückzug machte Claus Ogerman erst recht zur gefragten Legende. Immer wieder fragten Stars an, ob er nicht doch noch mal, ein letztes Mal, nur für sie ein Album arrangieren würde. Doch Ogerman blieb eisern, selbst als Prince, Shakira, Neil Diamond und sogar Michael Jackson anfragten. Die Liste derer, die er habe abblitzen lassen, sei länger gewesen als die der Musiker, mit denen er zusammengearbeitet habe, sagte er. Erst 2001 ließ er sich von Diana Krall zur Rückkehr zu jener Arbeit bewegen, die ihn berühmt gemacht hatte. Ein Gegengeschäft half: Ogerman arrangierte Kralls "The Look Of Love". Dafür brachte das Label Aufnahmen seiner Klassikwerke heraus.

Der Klang, den alle so gerne wollten, stammt aus den Sechzigerjahren, vor allem aus der Arbeit mit dem brasilianischen Komponisten, Pianisten und Sänger Antônio Carlos Jobim, mit dem er seit 1963 bis in die Siebzigerjahre Platten aufnahm. Die Zusammenarbeit mit Tom Jobim entwickelte sich über eine Serie von Alben so eng, dass es bald schwierig wurde, zu sagen "wo Jobim endet und Claus anfängt", wie der Jazzkritiker Gene Lees schrieb. Das hatte auch damit zu tun, dass Ogerman für Jobim mehr als nur ein Arrangeur war. Wenn Jobim für ein neues Album in die USA reiste, dann war es zuallererst sein Freund Claus, dem er eine neue, häufig noch unnotierte Komposition wie "Wave" auf der Gitarre vorspielte. Ogerman war es, der sie dann zu Papier brachte.

Sinatra wollte unbedingt den "Typ mit dem komischen Namen" im Studio haben

Auch für Frank Sinatra bildeten Jobim und Ogerman eine Einheit. Für sein Bossa-Nova-Album von 1967 wollte er nicht nur die Songs von Jobim und den brasilianischen Kollegen als Begleiter und Duett-Partner. Er wollte unbedingt "den Typ mit dem komischen Namen", mit dem Jobim immer so toll zusammenarbeitete.

Auch daraus wurde eine Freundschaft. Als Ogerman später bei den Aufnahmen von "Drinking Again" auf dem Klavier herumjazzte, witzelte Sinatra: "Der Typ kommt gar nicht aus Deutschland, sondern aus Brooklyn. Er täuscht seinen Akzent nur vor."

Ogerman stammte aus Ratibor, dem heute polnischen Racibórz, wo er am 29. April 1930 als Klaus Ogermann geboren wurde. In seiner Jugend prägten ihn Tausende Platten, die übrig blieben, als sein Vater einen Plattenladen wieder dichtmachte, weil die Leute immer nur hörten, aber nie kauften. Seine Liebe galt immer der Klassik. Doch als er das erste Mal Jazzaufnahmen hörte, sei das wie das Hineinhorchen in eine andere Welt gewesen.

Mit seinen Geschwistern und dem Vater kam er 1945 nach Nürnberg. Er studierte kurz Gesang, wechselte aber bald ins Instrumentalfach. Eigenes Geld verdiente er sich als Jazzmusiker und Schlagerkomponist. Er spielte und arrangierte für Max Greger und Kurt Edelhagen, stellte aber schon bald fest, dass er mit ihnen nicht verwirklichen konnte, was ihm vorschwebte. Als er Edelhagen ein Arrangement von Lennie Tristanos "Intuition" vorschlug, antwortete der: "Wir sind doch nur das Schwarzwaldtanzorchester, da kann ich mit so etwas Modernem leider nichts anfangen." Gegenüber seinen Nürnberger Klassik-Lehrern - dem Weltklassepianisten Ernst Gröschel und dem Dirigenten Karl Demmer - erwähnte Ogerman seine Jazz- und U-Musikaktivitäten auch nie. Auch später nicht, als er längst in den USA Karriere machte.

1959 reiste Ogermann per Schiff in die USA. Ihn lockte der Jazz und die Hoffnung, dort mit den besten Big-Bands arbeiten zu dürfen. Er ahnte nicht, dass es die meisten Big-Bands bald schon nicht mehr geben würde. Als er im berühmten Brill Building die Musik hörte, die dort aus den Büros der Songwriter und Musikverleger tönte, war sein erster Gedanke: "Dadam, Dadam, Dadam - Gershwin ist wirklich tot!"

Ein anderer wäre vielleicht wieder abgereist. Nicht Claus Ogerman. Es schaffte es, in den USA eine Musik-Karriere wie kein anderer Deutscher in dieser Zeit hinzulegen. Nur eines hat der Bossa-Nova-Deutsche Claus Ogerman in einer seltsamen Ironie des Lebens nie geschafft: Der Mann, der bei den Aufnahmen des Welthits "Girl from Ipanema" im Studio mit dabei war, der mit Tom Jobim die schönsten Bossa-Nova-Alben aller Zeiten aufnahm, war selbst nie in Brasilien.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2016
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