Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Prince:Jetzt weinen die Tauben

Lesezeit: 6 min

Ein großartiger Wahnsinn aus Pathos und Funk geht zu Ende. Der Popstar Prince ist gestorben.

Von Andrian Kreye, Jens-Christian Rabe und Jürgen Schmieder

Nein, nicht der auch noch. Nicht Prince, der es wie kein Zweiter verstand, einen über die Jahre immer wieder unter Strom zu setzen, obwohl man eigentlich dachte, der gehört jetzt aber wirklich in die eigene, in die musikalische, in die popgeschichtliche Vergangenheit.

Aber dann stand man wieder in irgend einem Sportstadion, egal wo, er spielte ja überall auf der Welt. Er verschenkte am Eingang sein neues Album, weil er die Plattenfirmen so hasste und seine Fans so liebte und weil er sich lieber für die Musik verzehren wollte, als für noch irgendeine Chartplatzierung seine Seele an die Konzernschranzen zu verkaufen. Hits wie "Purple Rain", "When Doves Cry", "1999!", "Little Red Corvette", "Kiss".

Irgendwann wurden aus den Hits Alben, aus den Alben Jam Sessions auf CD. Aber das war in diesen Momenten egal. Im Sportstadion eben, wenn er seine Stimme mit einem dieser Schluchzer, von denen man nie wusste, ob sie verzweifelt oder obszön waren, in einem langen Bogen ins Falsett trieb. Und dann, wenn die Strophe vorbei war, riss er die Gitarre nach oben, als würde sie sich aufbäumen unter ihm und setzte zu einem dieser Soli an, die die Menge aus dem Häuschen brachte.

Wer so viel geniale Musik produziert, muss sich nicht erklären

In Deutschland tauchte Prince (der mit vollem Namen Prince Rogers Nelson hieß) recht früh auf dem Radar der Popgeschichte auf. "Dirty Mind" war gerade erschienen, 1980 war das. Eigentlich war es schon sein drittes Album, aber weil die anderen beiden nicht so recht vom Fleck kamen, war es eigentlich auch das erste.

Vielleicht war es ja auch dieses Cover mit dem Sänger, der einen Slip unter einem nietenbesetzten Trenchcoat trug, ein Bandana um den Hals, der einen stechenden Blick hatte, bei dem man nicht wusste, ob er einen nun verführen oder abstechen will. Aber es war ja auch egal, ob er nun ein schwarzer Rockmusiker oder ein weißer Funkmusiker war, ob die Obszönitäten schwul gemeint waren oder nicht. Man hatte so etwas auf jeden Fall noch nie gehört und so einen noch nie gesehen. Und von Debatten über postethnische Gesellschaft oder Pansexualität hatte man damals, und vor allem als Teenager, ohnehin keine Ahnung.

Es folgten dann noch zwei richtig gute Alben. Und 1984, bei der Filmpremiere von "Purple Rain", war klar, dass hier einer angetreten war, dem es nicht reichen würde, Rockstar zu werden. In diesem ganzen rüschigen Wahnsinn aus Paisleymustern und Lilatönen, Schmachtblicken und weinenden Tauben, Funk und diesen allgegenwärtigen Porno-Untertönen rammte Prince seinen ersten großen Pflock in die Popgeschichte.

In dieser Zeit fing auch seine Überproduktion an. Das teilte er mit seinen Vorgängen in der Geschichte der schwarzen Musik, die den Pop von Anfang an geprägt hat, mit James Brown und George Clinton vor allem, die sich oft finanziell aufrieben für die vielen Nebenlinien ihrer Musik, die sie dann meist als Soloprojekte ihrer Hintergrundsänger und Musiker produzierten. Weil die Plattenfirmen nicht bereit waren, den Markt jedes Jahr mit zehn Platten eines einzigen Musikers zu überschwemmen. Bei Prince waren es Sheila E., The Time, Vanity 6, Appolonia 6, Jesse Johnson, Jil Jones, lauter Namen, die in den Achtzigerjahren kurz groß wurden.

Zu jedem Nachruf gehört die Anekdote, so dürr sie auch sein mag. London also, nicht lange nach "Purple Rain", auf dem Höhepunkt des ersten Ruhms also. Der zuständige Redakteur hatte die grandiose Idee, dass Nina Hagen Prince interviewen sollte, die damals immer noch der wildeste, mutigste deutsche Popstar war. Prince kannte sie jedenfalls und ließ wissen, natürlich, Interview, Nina Hagen. Sofort! Am besten in diesem unfassbar exklusiven Nachtclub in Soho, gleich nach seinem Konzert im Stadion.

Nina Hagen war zwar sonst sehr furchtlos, aber Prince machte sie nervös. Das Konzert war wie immer furios. Eine Orgie der aufwallenden Sexsoulcrescendi mit ein paar zehntausend fassungslosen Londonern in Ekstase. Weit nach Mitternacht dann im Club die Begegnung. Nina Hagen fast starr vor Ehrfurcht, Prince zwei Köpfe kleiner, ganz scheu. Sie umtänzelten sich eine Weile in einer dieser runden Couchnischen, in denen man in solchen Clubs Champagner trinken soll. Sie wirkten wie zwei sehr exotische, aber sehr unterschiedliche Vögel und mehr als ein "Hey Prince" und ein "Hi Nina" kam auch nicht heraus.

Prince gab fast nie Interviews. Aus genau diesem Grunde, dass jemand, der so viel geniale Musik produziert, sich wirklich nicht auch noch erklären muss. Aufdrehen! Hinhören! Mitgehen! Was will man von Musik denn sonst noch?

Prince redete nicht nur - er half auch, wenn es nötig war

Noch eine kurze Anekdote: Keine richtige Begegnung, nur ein Brief von Prince, den man lesen durfte. Das war tief in Michigan auf einer Farm. George Clinton versteckte sich dort vor der Steuerfahndung, der genialische Übervater des Siebzigerjahre-Funk. Er hatte sich für seine Musik ruiniert, zu viele Platten und Bühnenshows auf eigenes Risiko produziert. Und eben keine Steuern gezahlt.

Prince war dabei, ihn zu retten. Er hatte ihm ein neues Album produziert. Die Anwälte seiner Firma Paisley Park verhandelten mit dem Finanzamt. Das forderte. Prince zahlte. Und er schickte hin und wieder Briefe an Clinton, der kein Telefon mehr besaß, weil ja doch nur noch Finanzbeamte und Gläubiger anriefen. In diesen Briefen steckte so viel Respekt und Ehrfurcht vor George Clintons Musik. Es ging um Geld und Bürokratie. Aber im Subtext schimmerte diese Leidenschaft für eine Tiefe in der Musik, die bei Prince nie zu bändigen war.

Und da war noch ein Unterton. Keiner kannte die brutale Macht, mit der die amerikanischen Institutionen einem Schwarzen auch auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, seines Reichtums und seiner Genialität nachsetzen, so gut wie Prince. Und deswegen war es für ihn überhaupt keine Frage, dass er seinem Vorläufer und geistigen Vater helfen würde, den Fängen der Behörden zu entkommen. Die Wut auf dieses System sollte ihn viel Geld und Nerven kosten.

Ein paar Jahre später musste Prince sich dann auch selbst befreien - aus den Fängen seinen Plattenfirma Warner. Das war Anfang der Neunzigerjahre. "Love Symbol" hatte sich schlecht verkauft. Und Warner Brothers fand, Prince veröffentliche zu viel. 1993 eskalierte der Streit als Warner eine Schaffenspause forderte und nur ein Greatest-Hits-Album veröffentlichen wollte. Prince sah das als direkten Angriff auf seine Freiheit. Fatalerweise hatte er noch im August 1992 einen Vertrag für sieben Jahre unterschrieben.

Am 7. Juni 1993, seinem 35. Geburtstag, wurde bekannt, dass Prince seinen Künstlernamen in ein unaussprechbares Symbol geändert habe. In den Medien wurde er fortan nur noch als "The Artist Formerly Known As Prince" bezeichnet, kurz "Tafkap". Er selbst schrieb sich mit schwarzem Stift "Slave" (Sklave) auf die Backe.

Seine volle Schaffenskraft bekam Warner freilich nicht mehr, ein echter Warner-Sklave war er eben doch nicht. Er lieferte noch ein wenig minderes Material, verweigerte Werbung. Bald gründete er ein eigenes Label und nahm Musik für andere auf. EMI etwa veröffentlichte 1996 "Emancipation", um das er sich viel engagierter kümmerte. Am 31. Dezember 1999 lief der Warner Vertrag endlich aus. Ein halbes Jahr später verkündete der Künstler, wieder Prince zu heißen. Was für ein Triumph. Doch am Erfolg seiner Musik waren die turbulenten Jahre nicht spurlos vorüber gegangen. Einmal schaffte er es noch auf Platz eins, 2006 mit dem Album "3121".

Auf seiner letzten Party wurde der Gastgeber nicht mehr gesehen

Ganz zum Schluss, der ja gar kein Schluss sein sollte, wollte er dann doch noch sein Schweigen brechen. Vor wenigen Wochen stand Prince auf dem Balkon des Nachtclubs "Avenue" in Manhattan und sprach zu weniger als 300 Fans. "Ihr lest schon noch Bücher, oder?", fragte er und verkündete, dass er sein Leben nun selbst aufschreiben würde: "Wir fangen bei meiner ersten Erinnerung an und arbeiten uns bis zum Super Bowl vor." Das war 2007, als er das Halbzeitkonzert der Football-Meisterschaft spielen durfte, der größte Ritterschlag des amerikanischen Pop. Dann setzte er sich an ein Keyboard, spielte ein Medley aus Songs wie "Sign o' the Times", "When Doves Cry" und "Let's Work".

Es hatten ja über die Jahre viele über ihn geschrieben. Über groteske Begegnungen in seinem Haus in Los Angeles, über verrückte Interviews, von Privatkonzerten bis spät in die Nacht. Von einem Typen, den sie nie zu fassen bekamen und deshalb so faszinierend fanden. Er selbst sagte einmal: "Trotz allem kannst du niemandem vorschreiben, wie sie dich zu sehen haben."

Noch am vergangenen Samstag veranstaltete er eine Party in seinen Paisley Park Studios. Manchmal trat er hier selbst so auf, wie er sich gerne sah: ein Klavier, ein Mikrofon, Prince. Das genügte. Zu dieser letzten Party jedoch erschien Prince selber nicht. Es hieß, dass seine Krankheit doch schlimmer sei, als zunächst angenommen. Am Freitag zuvor hatte er einen Flug unterbrechen müssen, um ins Krankenhaus zu gehen. Da hieß es noch, er habe nur eine Grippe. Prince starb am Donnerstag in seinem Haus in Minnesota. Er selbst wird sein Leben nicht mehr aufschreiben können. Prince wurde nur 57 Jahre alt. Seine Geschichte aber ist lang und unglaublich.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2016
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