Nachruf:Pop revolutioniert man mit dem Schwert

Holger Czukay Interviewtermin zu CD Release von Radio Wave Surfer mit Ex Can Bassist Holger Czukay b

Holger Czukay suchte eine Millionärin und fand eine Band - "Can", Pioniere des Krautrock.

(Foto: imago/Future Image)

Holger Czukay, der Bassist der Band "Can" war einer der ganz wenigen Pop-Pioniere aus Deutschland - und einer, für den Kompromisse mit dem Markt nie in Frage kamen.

Von Max Dax

Holger Czukay konnte erzählen. Von den vielen, vielen Geschichten, die er im Laufe der Jahre erzählte, beiläufig dahingeplaudert oder konzentriert ins Mikrofon diktiert, blieb eine besonders hängen: Czukay, der zwischen 1963 und 1966 drei Jahre bei Karlheinz Stockhausen Komposition studierte, um später mit dem Pianisten Irmin Schmidt und dem Schlagzeuger Jaki Liebezeit die Band Can zu gründen, philosophierte über die Frage menschlicher und künstlerischer Unabhängigkeit am Beispiel der praktischen Weisheit Stockhausens. Dieser nämlich, und das beeindruckte Czukay zutiefst, habe die eigene künstlerische Freiheit, also dass er keinen einzigen Gedanken daran verschwenden müsse, ob seine Kompositionen nun erfolgreich sein würden oder nicht, damit erworben, indem er eine reiche Frau geheiratet habe. Holger Czukay: "Da wusste ich: An den Mann musst du dich halten."

Karlheinz Stockhausen war damit in mehrerlei Hinsicht ein Mentor des späteren Can-Bassisten und Komponisten fortschrittlicher Cut-up-Musik. Holger Czukay: "Ich fragte mich: Wo finde ich 500 reiche Frauen, damit ich mir auch eine aussuchen kann?" Gesagt, getan. Er machte sich auf die Reise um Musiklehrer in Le Menil zu werden, einem hochexklusiven Schweizer Mädchenpensionat in der Nähe von Genf, wo die Töchter von Industriellen, Reedern und Adligen lernten: "Ich sah mich bereits als König von Griechenland durch die Gegend fahren."

Tatsächlich vertüddelte sich Holger Czukay auf seinem Weg durch die Schweiz, nahm Umwege und Abkürzungen und landete schließlich in einem Internat in St. Gallen, nachdem sich die ihm dort zugewiesene Schulklasse nach einer Probestunde über Beethovens 8. eindeutig für ihren neuen Musiklehrer ausgesprochen hatte. Hatte er seinen Plan, eine reiche Frau zu finden, seitdem weiterverfolgt? "Nö, denn in dieser Klasse saß Michael Karoli, der zukünftige Gitarrist von Can."

Die Krautrock-Bands arbeiteten damals völlig anders als alle anderen Bands

So war das also mit der Gründung von Can, der - neben Kraftwerk, Neu! und Faust - wichtigsten deutschen Band der ersten Generation Pop nach dem Krieg. Can waren die Erfinder einer genuin neuen Musik, die man damals hierzulande "Kosmische Musik" nannte und in England, der Krieg war Ende der Sechzigerjahre ja noch nicht wirklich lange her, pikiert als "Krautrock" bezeichnete. Allerdings schwang von Anfang an auch Bewunderung auf der Insel für diese unerhörte Musik mit: Denn die Riege der kosmischen deutschen Bands arbeitete völlig anders als alle anderen Bands der Zeit.

Im Umfeld von Stockhausens Studio für elektronische Musik in Köln, der parallel agierenden Fluxus-Bewegung und einer aufgeheizten politischen Subkultur ging es Can um die Balance von größtmöglicher musikalischer Freiheit - spirituell wie künstlerisch - und um lineare Struktur. Denn auch Irmin Schmidt war Schüler von Stockhausen, während Jaki Liebezeit, der aus dem Freejazz kam, die grenzenlose Freiheit bei Can gegen das Korsett eines stetigen, monotonen Beats eintauschte. Man nannte ihn die Mensch-Maschine. Holger Czukay spielte zu Liebezeits minimalistischem Schlagzeug einen derart herausfordernden, marschierenden, gleichförmigen Bass, dass der Groove, den Can auf Platten wie "Monster Movie" (1969), "Tago Mago" (1971) oder "Ege Bamyasi" (1972) erfanden, bis heute wirkt. Die DNA von Bands wie PiL, LCD Soundsystem, The Fall oder Primal Scream buchstabiert sich, wenn man genau hinschaut: C - A - N.

Irmin Schmidt beschrieb Holger Czukays künstlerisches Genie und seine Rolle bei Can einmal mit den zärtlichen Worten: "Wie Sergej Eisenstein seine Filme mit dem Schwert editierte, so radikal zerschnitt Holger die Tapes mit Can-Musik. Man kann diese oft völlig unerwarteten Schnitte in Songs wie "Halleluwah", "Mother Sky" oder auch "Oh Yeah" hören, wo Holger die Stimme unseres Sängers Damo Suzuki einfach rückwärts abspielte. Alle Theorie und jeder Überbau sind wertlos, wenn man nicht jemanden wie Holger an Bord hat, der dank einer einzigartigen Intuition eingeweiht zu sein schien in das große Geheimnis des Editierens. Ich würde seinen Beitrag als den zentralen Baustein in unserer Musik zu bezeichnen."

Tatsächlich begann die Musik von Can bei Holger Czukays mit zerschnittenen und neu wieder zusammengefügten Tonbändern im Studio für elektronische Musik, interdisziplinär anknüpfend an Kurt Schwitters' literarische und künstlerische Experimente Collage bei Dada. Anders als die anderen kosmischen Bands wie Kraftwerk oder Faust, die trotz vieler Personalwechsel bis zum heutigen Tag stetig weiter am eigenen Klang gearbeitet haben, trennten sich Can jedoch endgültig nach dem Tod Michael Karolis im Jahr 2001, allerdings war die Band de facto bereits spätestens seit 1989, als man ein unentschiedenes letztes Album namens "Rite Time" veröffentlichte, nicht mehr aktiv.

Alle Mitglieder begannen nach 1979 aber mit unterschiedlichem Erfolg Solokarrieren, wobei insbesondere Holger Czukay 1984 mit "Der Osten ist rot" ein radikal-fortschrittliches und auch von der Kritik bejubeltes Album veröffentlichte, um sich in den Neunzigerjahren in Zusammenarbeit mit dem Kölner Techno-Produzenten Liquid Sky dem Minimal Techno zuzuwenden. Überhaupt sollten es zum Schluss mehrheitlich Kollaborationen verschiedenster Art sein, die das Spätwerk der noch lebenden Can-Mitglieder prägten: Vor allem Jaki Liebezeit, der am 22. Januar dieses Jahres friedlich verstarb, arbeitete mit einer Vielzahl von musikalischen Sparringpartnern zusammen - von der Electronika-Koryphäe Burnt Friedman über Jochen Irmler von Faust bis hin zum alten Bandkollegen Holger Czukay. Die meisten der dabei entstandenen Veröffentlichungen sind experimentell bis unkommerziell und doch meist wunderschön. Kompromisse oder Zugeständnisse gegenüber einem wie auch immer definierten Markt kamen nie in Frage.

Diese Geschichte musikalischer Freiheit geschah, obwohl Holger Czukay in der Schweiz weder eine Königstochter noch eine Millionärin fand. Stattdessen heiratete er vor 28 Jahren - das darf nun natürlich nicht fehlen - die Liebe seines Lebens, Ursula Schüring, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen U-She. Da war er bereits 51 Jahre alt. Gemeinsam gingen beide fortan nicht nur durchs Leben, sie begaben sich auch auf musikalische Abenteuerspielplätze mit mal genialen, mal unhörbaren Ergebnissen. Am 28. Juli dieses Jahres starb Ursula Schüring nach langer, schwerer Krankheit. Vor die Wahl gestellt, seine Karriere im Alter weiterzuverfolgen oder seiner Frau beizustehen, wählte Holger Czukay die Barmherzigkeit und pflegte sie bis zum Ende. Dass er ihr nun nur einen Monat und eine Woche später folgte, legt den Schluss nahe, dass ihre Liebe größer war als der Tod.

Holger Czukay wurde am Mittwoch, den 6. September, tot im ehemaligen Can-Studio in Weilerswist aufgefunden, wo er mit Ursula Schüring auch gelebt hatte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: